Migranten-Klischees im TV: "Integration, die drittwichtigste Aufgabe"
Für Baden-Württembergs Landeschef Günther Oettinger steht Integration beim Fernsehen nicht ganz an erster Stelle. Und im Vorabendprogramm der Sender noch viel weiter hinten.
Im ZDF-Magazin "Hallo Deutschland" am frühen Montagabend sagt Erol Sander: "Wir sind eine multikulturelle Gesellschaft geworden." Ein schöner Satz zum Start der ZDF-Integrationswoche. Nur mit der Realität hat er wenig zu tun. Und Sanders eigene Geschichte ist Teil des Problems.
Der Schauspieler wurde als Urcun Salihoglu in Istanbul geboren und benannte sich zu Beginn seiner Karriere um, weil sein türkischer Name zu kompliziert auszusprechen ist. So zumindest stellt Sander es immer wieder dar. Nur fällt schwer zu glauben, dass dies der Hauptgrund war. Denn der Name Salihoglu ist in Deutschland vor allem deswegen schwer zu vermarkten, weil er ziemlich türkisch klingt. Dass ein türkischer Schauspieler namens Sander nun kein Beispiel für Integration ist, sondern für Assimilation, bleibt im Beitrag allerdings leider unerwähnt.
Was für Schauspieler gilt, stimmt auch für ihre Rollen. In deutschen Vorabendserien heißt man deutsch: Rolf Jäger zum Beispiel oder Carla Winter. Einen Cem Öztürk muss man außerhalb des ARD-Multikultiflaggschiffs "Türkisch für Anfänger" suchen. Bei "Soko 5113" (ZDF) an diesem Montag gibt es immerhin einen Goran Nedved. Der ist gebürtiger Tscheche - und mord(s)verdächtiger Drogendealer. Dass er am Ende doch unschuldig ist, ändert nichts an der stereotypen Darstellung.
Die Schlussfolgerung, der solche Klischees Vorschub leisten, ist so banal wie fatal: Ausnahmen bestätigen die Regel. Auch wenn Fernsehmacher ihr immer seltener gerecht werden, tragen sie dafür Verantwortung - sowohl für die Bilder auf der Mattscheibe als auch für die daraus entstehenden Bilder im Kopf.
Zappt man sich zwei Tage lang durchs deutsche Vorabendprogramm, werden einem viele Fragen beantwortet, die man sich nie stellen würde: Zum Beispiel, was die Lottofee im Ruhestand macht ("Ihn genießen") - oder warum Pfleger im Zoo das Fett vom Fleisch abschneiden ("Das gibt nur Durchfall"). Ein großes Rätsel bleibt jedoch, warum der Quotenitaliener in "Marienhof" (ARD) radebrechender Kneipenwirt sein muss und der Quotentürke Gemüsehändler. Oder warum der pubertierende Deniz in "Alles was zählt" (RTL) gleich zwei Probleme haben hat - Türke zu sein und schwul.
Das Weltbild der Soaps ist von der realen Gesellschaft so weit entfernt wie Erol Sander vom Oscar. Ausländer kommen nur in homoöpathischen Dosen vor, fast immer dazu in klischeehaften Rollenprofilen: Die einzige dunkelhäutige Schauspielerin weit und breit darf diesen Montag einen der Hauptdarsteller von "Gute Zeiten Schlechte Zeiten" (RTL) am Montagabend kurz fragen, ob er sie in die Mittagspause begleiten will, was dieser verneint. Ihre Rolle ist so klein, dass sie auf der "GZSZ"-Website nicht mal erwähnt wird. Dort finden sich ausnahmslos Fotos von blonden bis brünetten Schauspielern, die genauso steril und gegelt aussehen wie die "GZSZ"-Welt an sich.
Bei Phoenix sitzen dafür mal wieder graue Herren auf einem Podium. Einer von ihnen, Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU), wird nach den derzeit wichtigsten Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefragt. "Die drittwichtigste Aufgabe", antwortet Oettinger verschwurbelt, sei für ihn "Integration, eine vornehme Aufgabe, die an Bedeutung gewinnt". Wo, möchte man ihn fragen - im Fernsehen jedenfalls (noch) nicht - mal abgesehen von gut gemeinten ZDF-Programmschwerpunkten.
Doch es gibt auch gute Nachrichten: Einer der Wenigen, den die Deutschen gerade dafür lieben, dass er ihre Sprache immer noch nicht perfekt beherrscht, ist zurück, meldet das ARD-Boulevardmagazin "Brisant": Howard Carpendale. Der gebürtige Südafrikaner ist blond - und hat wohl nie daran gedacht, seinen Namen zu ändern.
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