Mieterversammlung der Linken: Vonovias Wahlkampfhilfe
Der Wohnungskonzern verschickt weiterhin rechtswidrige Mieterhöhungen. Bei einer Versammlung für eine Siedlung im Westend gibt die Linke Tipps.
taz | Ein junger Mann hält einem älteren Ehepaar die Tür zum Kultur- und Begegnungszentrum Ulme 35 in der Ulmenallee im Westend auf. „Wie alt bist du jetzt?“, fragt die Frau. „26“, lautet seine Antwort. Die Frau stockt kurz: „26? Du warst doch letztens erst so“, sagt sie und hält ihre Hand auf Hüfthöhe. Es ist eine von vielen nachbarschaftlichen Begegnungen an diesem Dienstagabend auf einer Versammlung von Mieter:innen einer nahegelegenen Wohnsiedlung aus den 1940er und 1950er Jahren östlich der Reichsstraße.
Eingeladen zu dem Treffen hat die Linke, deren Aufstellfahne vor der Tür der im Landhausstil gebauten prachtvollen Villa den Besucher:innen den Weg weist. Der Anlass: Die Mieter:innen der 400 Wohnungen, die seit einigen Jahren Deutschlands größtem Vermieter Vonovia gehören, haben vor Kurzem offensichtlich rechtswidrige Mieterhöhungen erhalten. Wie seit etwa einem Jahr üblich, hat der Konzern die Forderungen mit zwei Merkmalen begründet, die es im Mietspiegel gar nicht gibt: gute ÖPNV-Anbindung und Nahversorgung. Acht Amtsgerichtsentscheidungen und zuletzt ein Urteil der Landgerichts haben diese Praxis als unzulässig bewertet.
Die mithilfe dieses Tricks berechneten zulässigen Mieten werden somit in die Höhe getrieben – die geforderten Mieterhöhungen fallen dementsprechend happig aus. Bei einigen ist die Aufregung darüber schon vor Beginn der Veranstaltung groß. Eine Frau um die 60 mit Steppjacke und blondierten Spitzen, die ihren Namen lieber nicht nennen will, lässt ihrem Frust in der Eingangshalle freien Lauf: „Von hinten bis vorne pappesatt“ habe sie ihren Vermieter.
64 Euro mehr als die 700 Euro bislang sollen und ihr Mann zahlen. Dabei habe Vonovia schon aufgrund einer Badsanierung die Miete dauerhaft um 80 Euro pro Monat heraufgesetzt. Seit 1999 leben sie in dem Haus in der Altenburger Straße, das bis 2004 noch im Besitz der Gagfah war, die Angestellte der Deutschen Rentenversicherung mit Wohnungen versorgte. Vor allem seit der Privatisierung und späteren Übernahme durch Vonovia sei in dem Haus nichts mehr passiert; auch gegen die feuchten Außenwände und den Schimmel in den Wohnungen tue die Eigentümerin nichts.
„Leider Gottes“ hätten sie dem Mieterhöhungsverlangen schon zugestimmt, erzählt die Frau: „Wir sind ja so Bürger, die keinen Ärger haben wollen.“ Aber dass die Regierungsparteien nicht eingriffen, sei eine „Frechheit“. Der Einladung der Linken sei sie gerne gefolgt, auch wenn sie mit der Partei nichts zu tun habe. Einigkeit gibt es trotzdem. Sie sagt: „Wir wollen, dass diese Gesellschaften endlich gestoppt werden, dass sie enteignet werden.“ Auch die Linke macht die Umsetzung des Enteignungs-Volksentscheids zur Bedingung für eine mögliche Regierungsbeteiligung.
Organisiert in einer Woche
Als die Veranstaltung kurz nach 18 Uhr beginnt, sind die Klappsitze in dem etwa 120 Plätze fassenden Versammlungssaal gut zur Hälfte gefüllt. Gekommen sind viele ältere Mieter:innen, viele haben ihre Vermieterschreiben in den Händen, manche auch ein Bier. Die Linke Charlottenburg-Wilmersdorf habe vor einer Woche in einer Sprechstunde von den wohl fehlerhaften Mieterhöhungsschreiben erfahren, erzählt deren Bezirksvorsitzender Johannes Kolleck. Die Frage sei gewesen: „Helfen wir in dem einen Fall oder informieren wir alle anderen auch?“
Am Wochenende dann klingelten Parteimitglieder an allen Türen des Viertels und luden zu dem Treffen ein. Der Kiez sei „nicht unbedingt als Linken-Hochburg bekannt“, sagt Niklas Schenker, der aus dem Bezirk stammende mietenpolitische Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion. Mit so einem konkreten Thema sei es jedoch deutlich leichter, auf die Menschen zuzugehen. 25 Mieter:innenversammlungen habe die Bezirks-Linke in der jüngeren Vergangenheit angestoßen, erzählt Schenker im Gespräch mit der taz.
Für die Linke sind die Versammlungen Teil einer wiederentdeckten Strategie, sich vermehrt in den Kiezen zu verankern – vereint werden damit konkrete Hilfe und Wahlkampf. Nicht zufällig ist mit Elif Eralp auch die designierte Spitzenkandidatin zur Abgeordnetenhauswahl im Westend anwesend. Sie wird mit Applaus empfangen. Die Partei will sich in Zukunft noch strukturierter um die Belange von Mieter:innen kümmern, eine neue Mietenkampagne der Bundespartei soll demnächst starten.
In der Ulme 35 gibt es nur kurze Inputs von Eralp und Schenker, ehe Marcel Eupen vom Alternativen Mieterverein AMV Details zum Mietspiegel erläutert. Er erklärt die Strategie des Konzerns, die „kein Versehen, sondern Absicht“ sei. „Bei 300 Mieterhöhungsverlangen stimmen 250 direkt zu, 25 weitere tun dies nach einer Klageandrohung. Bei einer Klage stimmt die Hälfte einem Vergleich zu, der Rest der Mieter:innen gewinnt.“ Ergo: Am Ende gewinnt immer Vonovia.
Einzelfallberatung für alle
In der anschließenden Fragerunde wird klar: Hat man erst mal zugestimmt, ist rechtlich nichts mehr zu machen. Die aufgeregte Mieterin in der ersten Reihe schüttelt den Kopf. Was bleibt, sei politisch Druck zu machen. Die Linke hat einen offenen Brief für die Mieter:innen vorformuliert, in dem der Konzern aufgefordert wird, alle Mieterhöhungsverlangen „unverzüglich zu korrigieren“. Klemmbretter gehen durch die Reihen, auf denen die Mieter:innen unterschreiben.
Als sich das Ende der Diskussion anbahnt, springen viele Mieter:innen auf. Die Linken und der Mieterberater verteilen sich auf vier Tische, um die Mieterhöhungen individuell zu prüfen. Eralp braucht erst mal Strom für den Laptop und das WLAN-Passwort und Rat von Schenker, wie sie den Online-Mietspiegel-Rechner des Senats richtig ausfüllt.
Bei Schenker hat die 87-jährige Mieterin Ingrid Stephan Platz genommen, 75 Euro mehr soll sie zahlen. Nach Eingaben von Wohnungsgröße und -merkmalen spuckt der Rechner die zulässige Höchstmiete aus, nach der eine Mieterhöhung von maximal 40 Euro zulässig ist. „Na, das ist schon ein Unterschied“, reagiert sie erleichtert und fragt: „Und wie verbleiben wir jetzt?“ Schenker rät ihr, nicht zuzustimmen und noch einmal in seine Sprechstunde zu kommen. Als Stephan zögert, notiert er sich ihre Nummer, macht ein Foto der Mieterhöhung und verspricht ihr, ihr ein Widerspruchsschreiben zuzuschicken.
Am Ende des Abend hat die Linke 60 Schreiben überprüft – 58 davon seien fehlerhaft gewesen, heißt es. Die durchschnittliche Ersparnis für die Mieter:innen belaufe sich auf 500 bis 1.000 Euro pro Jahr.
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