Mietendeckel-Aus und Mietnachzahlungen: Die menschliche Gesellschaft

Der Berliner Mietendeckel wurde gekippt. Der Senat hat deshalb finanzielle Hilfen für Mietnachzahlung beschlossen. Warum das richtig ist.

Ein Mann und eine Frau nehmen von einem Fenster aus an einer Demonstration des Bündnisses "Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn" gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel in Berlin teil. Das Gericht hatte den

Protest gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel am 15. April Foto: dpa/Christoph Soeder

Ginge es nach dem Aus für den Mietendeckel um pure Logik und Eigenverantwortung, dann könnte sich der rot-rot-grüne Senat die am Dienstag beschlossene, vorerst 10 Millionen Euro schwere „Sicher-wohnen-Hilfe“ sparen. Diese Darlehen – aus denen auch rückzahlungsfreie Zuschüsse werden können –, wären nämlich nicht nötig, wenn alle, die nun die geminderte Miete nachzahlen müssen, sich an die Mahnung von Senat und Mieterschützern gehalten hätten: Das eingesparte Geld vorerst auf keinen Fall ausgeben, sondern bis zu einer abschließenden Klärung am Verfassungsgericht auf die Seite legen.

Opposition und sonstige Kritiker liegen nämlich falsch, wenn sie dem Senat vorhalten, er habe die Mieter in die Irre geführt und sei deshalb in der Pflicht zu helfen. Denn mantramäßig haben Koalitionspolitiker wiederholt, man betrete mit dem Mietendeckel juristisches Neuland, man könne nichts garantieren und man solle deshalb vorsorgen.

Das haben nach Schätzung des Senats aber so viele Haushalte nicht getan, dass nun nach selbiger Schätzung rund 40.000 Mieter Probleme haben, die geminderte Miete zurückzahlen. Laut Bausenator Sebastian Scheel von der Linkspartei liegt das daran, dass mancher zwar nicht wohngeldberechtigt ist, sich aber die Miete „vom Kühlschrank abgespart und den nun wieder gefüllt hatte“. Fällig soll diese Nachzahlung auch ohne besondere Aufforderung bereits mit der Maimiete sein, auch wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erst neun Tage alt ist.

In einem marktradikalen Land, im oft zitierten Manchesterkapitalismus, würde nun gelten: selbst schuld, dann seht mal zu, wie ihr aus der Misere wieder rauskommt. Und natürlich wirkt das Ganze auch ein bisschen ungerecht: Wer sich an die Sparmahnung gehalten hat, sich nicht, um in Scheels Bild zu bleiben, den Kühlschrank gefüllt hat und nun aus eigener Kraft nachzahlen kann, mag sich fragen, warum andere fürs Geldausgeben auch noch belohnt werden.

Gute Sozialpolitik fragt nicht nach Schuld

Dieser Konflikt ist uralt: Schon in der Bibel, im Gleichnis vom verlorenen Sohn, fragt sich der daheimgebliebene arbeitsame Sohn, warum der Vater seinem verarmt heimkehrenden Bruder, der sich abgewandt und alles verprasst hat, nun auch noch ein Festmahl bereitet, während er nie auch nur eine kleine Feier spendiert bekam.

Gute Sozialpolitik aber fragt nicht nach Schuld. Hilfsleistungen, Wohngeld, diverse sonstige Unterstützungsleistungen bekommt grundsätzlich nicht nur, wer unverschuldet und nur aus Pech und ungünstiger Umstände wegen Hilfe braucht. Einschränkungen gibt es, aber eher geringe – etwa dass jemand, der ohne wichtigen Grund seinen Job kündigt, erst nach drei Monaten Arbeitslosengeld bekommt. Ob einer in der Schule oder in der Ausbildung fleißig war oder nicht, und wie weit jemand sein Schicksal in der Hand hatte, ist nachrangig.

Ein großes Wort dafür ist Nächstenliebe oder Barmherzigkeit

Das Ganze ist ja auch alternativlos, wenn man Menschen nicht dem Untergang preisgeben will. Es zeichnet eine menschliche Gesellschaft aus, bedingungslos zu helfen. Ein großes Wort dafür ist Nächstenliebe oder Barmherzigkeit. Welche Stadt könnte das mehr beherzigen als die, in der diese Haltung mit ihrem französischen Namen – Charité – seit fast 300 Jahren mittendrin fest in Stein gemauert ist.

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Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

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