Mieser ÖPNV in Baden-Württemberg: Wie ich lernte, das Auto zu lieben

Auf dem baden-württembergischen Land ist es kaum möglich, nur mit Bus und Bahn auszukommen – trotz zehn Jahren grüner Regierung.

ein alter VW Käfer fährt an grünen Wiesen und rotem Klatschmohn vorbei. Der Himmel ist wolkenlos und blau

Rot-grün sind in Baden-Württemberg höchstens die Wiesen – schön, um Auto zu fahren Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Methangas liegt in der Luft, als ich zur nächsten Bushaltestelle spaziere. Die Landluft riecht gut, frisch, ein bisschen nach Gülle und fast gar nicht nach Abgasen, obwohl Autos das einzig Lebendige sind, was ich zu sehen bekomme. Außer den Kühen, die links von mir weiden natürlich. Motorheulen, Stille, Motorheulen, Stille.

Wenig hat sich verändert, in dem Ort im Odenwald, wo ich meine Jugend verbrachte. Anscheinend weht jetzt seit zehn Jahren ein Hauch von grün aus Stuttgart über das schon immer schwarz-regierte Dorf. Das einzige Haltestellenhäuschen verlassen, der Bus kommt in … 20 Minuten! Glück gehabt: der letzte kam vor 30 Minuten.

Zeit, um nachzudenken, ob sich dieser Besuch bei alten Freun­d:in­nen heute überhaupt lohnt. Mir einzureden, dass ich richtig handle für die Umwelt, für die Zukunft des Planeten. Nachzudenken, ob es sich vielleicht lohnen würde, zu trampen. Niemand hält. Mit dem Fahrrad? Ich schaue zögernd Richtung Hang, der 100 Meter weiter in steilen Kurven nach oben führt. Zu Fuß? Ich versuche, Google Maps zu laden, aber insgeheim weiß ich, dass ich mindestens zwei Stunden unterwegs sein werde. Bahn? Ich lache laut auf, welche Bahn? Hätte ich doch bloß selbst ein …

Nein! Nur nicht in Versuchung geraten, nicht schon am ersten Tag des Besuchs in der Heimat. Der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) muss genutzt werden, das ist richtig, das heißt Verantwortung übernehmen, für das Klima, für die Welt, für die Menschheit. Dafür steht doch auch Winfried Herman als grüner Verkehrsminister im baden-württembergischen Landtag seit zehn Jahren, oder etwa nicht? Argwöhnisch schaue ich den vorbeifahrenden Autos hinterher. Die wissen gar nicht, wie viel Verantwortung sie tragen, ich bin nicht so. Ich beiße zufrieden und guten Gewissens in mein Fallobst und warte.

Langes Warten auf seltene Busse

Stickige Luft kommt mir entgegen, als ich endlich, endlich einsteigen darf. (Ich musste aufstehen und winken, fast wäre der Bus an mir vorbeigerauscht.) Traurige Gestalten stehen und sitzen vereinzelt im Raum. Starren mich kurz misstrauisch an, dann wieder in ihre Smartphones. Mit ihren Kopfhörern im Ohr wirken sie nicht so, als wären sie hier, um ihren ökologischen Fußabdruck klein zu halten. Nur eine ältere Frau sitzt ganz vorne und ignoriert konsequent das „Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen“-Schild. Erzählt laut von früher, hält kurz inne, als sie mein ihr unbekanntes Gesicht erblickt.

Das sind sie, denke ich mir, als ich eintrete. Jetzt gehöre ich zu den wenigen armen Menschen, die kein Auto haben auf dem Land. Die die hügeligen Straßen des Odenwalds nur aus den staubverschmutzten Scheiben des Busses kennen. Die ihren Tag genau timen müssen auf den spärlich gespickten Fahrplan. Die Tag für Tag durchgeruckelt werden, im Sommer schweißgebadet, im Winter leicht fröstelnd. Die manchmal stehend die Landstraße entlanggefahren werden, immer in der Hoffnung, der Bus möge heute keine Vollbremsung hinlegen müssen.

Zur Arbeit müssen sie, manche noch zur Schule, für sie gibt es noch die Hoffnung auf ein erlösendes Auto zum Achtzehnten. Für die Ar­bei­te­r:in­nen nur die Hoffnung, der Fahrplan möge nicht noch mehr gekürzt werden oder der Bus irgendwann nicht mehr in ihrer Nähe halten, so wie das seit neustem den Be­woh­ne­r:in­nen des Luftkurortes Saig im Schwarzwald droht. Haben doch eh alle ein Auto dort.

Bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach Ende letzten Jahres gaben nur ein Fünftel der befragten Au­to­nut­ze­r:in­nen an, der ÖPNV wäre für sie im Alltag eine ernsthafte Alternative zum Auto. Wäre… Unter den unter Dreißigjährigen findet fast die Hälfte, man solle in Zukunft hauptsächlich in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu investieren. Ja, da ist noch Luft nach oben, denke ich mir.

Die Fahrkarte, viel zu teuer

Der Busfahrer schaut mich an, als hätte er heute gar nicht erwartet, an dieser Haltestelle halten zu müssen. Dass ich auch noch nach einer Fahrkarte frage, scheint eine wahre Zumutung zu sein. „Zwei siebzig“ grummelt er, und dann habe ich es auch noch nicht mal passend. Ob man mit Karte zahlen könne, er schließt die Tür und fährt einfach los.

Angeblich habe sich die grüne Regierung hierzulande für günstigere Tarife wie den „bwtarif“ im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt. Damit muss man jetzt immerhin nicht mehr pro Verkehrsverbund, den man durchfährt, und pro Umstieg in ein anderes Verkehrsmittel einzeln zahlen, wie das vor drei Jahren noch der Fall war. Laut der Allensbach-Umfrage halten dennoch mehr als die Hälfte der Befragten die hohen Preise beim ÖPNV für das größte verkehrspolitische Problem in Baden-Württemberg. Nun ja, „günstig“ ist ja bekanntlich relativ.

Zwei Euro siebzig, vier Stationen, eine halbe Stunde und zehn Kilometer später, steige ich aus. Fast verpasse ich die Station, weil ich vergesse, auf „Stop“ zu drücken, danach auf „Türe öffnen“.

Methangas liegt in der Luft, als ich die letzten Kilometer zu Fuß zurücklege. Ab und zu hört der Gehweg auf und ich muss am Straßenrand laufen. Wieder rasen Autos vorbei, schnell, wendig, frei. Ein Zeichen von Prosperität und Wohlstand hier im Ländle, rund 30 Prozent des Industrieumsatzes in Baden-Württemberg kam 2019 schließlich aus der Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen.

Grüne für das Auto

Die grüne Regierung weiß, wie wichtig es ist, diesen Industriezweig des Verbrennungsmotors zu unterstützen, deswegen bat sie auch vor kurzem bei der EU, staatliche Hilfen und Steuervorteile für die hiesige Autoindustrie zu genehmigen. Sie weiß auch, dass ein schneller Erfolg des E-Autos sowieso unwahrscheinlich ist.

Ein Gefühl steigt plötzlich in mir hoch, das alles gute Gewissen, Selbstzufriedenheit und Überlegenheit überschattet: Neid. Nein, Sehnsucht. Plötzlich wünsche ich mir nichts sehnlicher als ein Auto. Eine abgasausstoßende, umweltzerstörende Karre, die mich schnell und wann immer ich möchte zu meinen Freun­d:in­nen bringt. Mit Klimaanlage im Sommer und Heizung im Winter.

Wobei, es würde mir auch schon reichen, wenn ich die Fenster runtermachen kann, wenn ich sicher angegurtet durch die waldigen Hügel fahre. Mit dem ich nicht ausgelaugt, verstaubt und schweißgebadet am Treffpunkt ankomme. Ein Traum. Einfach nur ein kleines, verlässliches, benzinschluckendes Auto. Das mich individuell und frei macht. Muss ja keine Mercedes-Limousine sein, so wie sie Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seinem Wahlwerbespot von 2016 fuhr, obwohl das im dunkelgrünen Baden-Württemberg immer gern gesehen wird.

So schlimm kann das für das Klima ja auch nicht sein, wie sagte der Ministerpräsident einmal? „Auch Grüne fahren Auto.“ Na dann.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.