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Miese CO2-Bilanz für DeutschlandMehr Ökostrom, mehr Klimagase

Die Europäische Umweltagentur warnt, dass drei Länder ihre CO2-Ziele verfehlen: Polen, Luxemburg – und Deutschland. Was ist passiert?

Der Kohleboom hält es am Laufen: Braunkohlekraftwerk Niederaußem bei Köln. Bild: dpa

BERLIN taz Es scheint paradox: Deutschland produziert Jahr für Jahr mehr Ökostrom – und trotzdem steigt der Ausstoß an Klimagasen, 2013 im dritten Jahr hintereinander. Wie groß das Problem im Vergleich zu anderen EU-Staaten ist, zeigt ein am Dienstag veröffentlichter Bericht der Europäischen Umweltagentur: „Deutschland ist das einzige Mitgliedsland, bei dem die Überprüfung von gleich zwei politischen Zielen eine Verschlechterung ergeben haben“, heißt es in dem Bericht.

Die Rede ist dabei von der Energieeffizienz und der Minderung von CO2-Emissionen. Jedes EU-Land hat sich verpflichtet, in diesen beiden Bereichen bis 2020 bestimmte Vorgaben einzuhalten, dazu kommt noch ein Ziel zum Ausbau erneuerbarer Energien. Insgesamt sollen am Ende der Dekade EU-weit 20 Prozent des Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen stammen, Energie soll 20 Prozent effizienter genutzt werden, außerdem soll der CO2-Ausstoß um 20 Prozent sinken – und bis 2030 um 40 Prozent. So beschlossen es die Staats- und Regierungschefs der EU vergangene Woche.

Deutschland macht deutlich mehr – minus 40 Prozent Kohlendioxid schon bis 2020 –, ist aber auf dem besten Weg zu scheitern: 2013 gab es einen Anstieg um 1,2 Prozent. Nur beim Ausbau erneuerbarer Energien ist Deutschland noch im grünen Bereich.

Wie konnte es dazu kommen? „Kalter Winter und Kohle“, sagt Sabine Gores, die beim Öko-Institut in Berlin das Team leitete, das den Bericht für die Umweltagentur mit erstellt hat. Der eine Grund ist also profan: Die Wintermonate 2013 waren kalt, mehr Heizen heißt mehr Klimagase. Der andere Grund ist ein strukturelles Problem: „Wir haben erneuerbare Energien und Kohle. Das kann nicht so bleiben. Da rollt noch eine gewaltige Diskussion auf uns zu“, sagt Gores.

Braunkohlekraftwerke laufen munter weiter

Prinzipiell verdrängen erneuerbare Energien zwar fossile Kraftwerke, allerdings vor allem moderne Gasturbinen. Stattdessen laufen Stein- und Braunkohlekraftwerke munter weiter. „Deutschland kann sein Klimaschutzziel nur noch erreichen, wenn es die Verstromung von Braun- und Steinkohle deutlich reduziert“, schrieb erst kürzlich der Thinktank Agora Energiewende. Die Versorgungssicherheit wäre damit nicht gefährdet – Deutschland exportiert immer mehr Strom.

Trotz der deutschen Malaise ist die EU kurz davor, ihre Ziele zu erreichen: Seit 1990 sind die Emissionen um 19 Prozent gesunken, 2013 um 2 Prozent. Das liegt im Übrigen nicht nur an der Wirtschaftskrise. Die wütete in der EU besonders in den Jahren von 2008 bis 2012. Trotzdem gehen drei Viertel der sinkenden Emissionen in diesen vier Jahren auf das Konto einer immer effizienteren Industrie und auf den Ausbau erneuerbare Energien.

Der Kohleboom in Deutschland ist gleichzeitig eine Folge der EU-weiten Entwicklung: Die EU erreicht ihre Klimaziele, indem sie an die Industrie Zertifikate ausgibt, die zum Ausstoß von CO2 berechtigen. Davon gibt es zwar peu à peu immer weniger, doch wegen der Wirtschaftskrise werden nicht alle benötigt. Der Ausbau erneuerbarer Energien ist zwar einkalkuliert, geht aber schneller als gedacht.

Deshalb gibt es zu viele Zertifikate. Sie kosten derzeit 6 Euro pro Tonne CO2 – bei den Preisen lohnt sich Strom aus Braunkohle, obwohl der besonders klimafeindlich ist. Der einzige Weg wäre, zusätzlich Zertifikate vom Markt zu nehmen. Das, so hat es die EU vergangene Woche beschlossen, soll „vor 2020“ geschehen. Die Schlote werden also erst mal weiterqualmen.

In einer ersten Version des Artikels stand: "Ohne weitere Maßnahmen, heißt es in den Prognosen der Umweltagentur, liegt der CO2-Ausstoß Deutschlands im Jahr 2020 höher als heute." Das ist falsch. Die Prognose bezieht sich nur auf den Teil der Emissionen, die nicht vom Emissionshandel erfasst sind - etwa der Agrar- oder der Transportsektor. Die Frage, ob der deutsche CO2-Ausstoß insgesamt sinkt war nicht Teil der Untersuchung.

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6 Kommentare

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  • Dieser Artikel ist überhaupt nicht auf dem neuesten Stand. In diesem Jahr ist abzusehen, dass der CO2 - AUsstoß um 5 bis 10 % sinken wird. Vergleiche hierzu: http://www.ise.fraunhofer.de/de/downloads/pdf-files/data-nivc-/stromproduktion-aus-solar-und-windenergie-2014.pdf

     

    Diese Zahlen sind ein Grund zum feiern!!! Wir sollten jetzt nicht so einen Artikel lesen müssen.

     

    Zu den Gaskraftwerken sage ich: Der Gaspreis ist in den letzten 14 Jahren rasant gestiegen, auf das dreifache! Kohle ist etwa konstant geblieben. Wir können doch nicht sagen: "erhöht den Gaspreis wie ihr wollt, wir steuern dann einfach mit den Zertifikaten dagegen". Das würde den Russen und Norwegern wohl gut gefallen ;)

  • Naja, sooo kalt war der Winter 2012/13 ja nun wirklich nicht. Interessanter wäre das Jahr 2014, es lässt sich doch leicht feststellen, ob es auch in diesem Jahr wieder einen Anstieg des CO2-Ausstoßes geben wird, bzw. gibt.

  • wir sehenwas passiert, wenn man eine Sache Politikern, Theoretikern, Lehrern, staalichen Verwaltungen überlässt, es kommt nix dabei rauss, von diesem Privatisierungswahn garnicht zu reden, seit 30 Jahren liegt die KK nicht mehr in den Händen von Technikern und Wissenschaftlern, sondern wie oben erwähnt in Händen von Amateuren, die vom Strom gerade soviel Ahnung haben, dass sie eine Ein/Aus Schalter betätigen können!

  • Auch wenn das beim Ökoinstitut und in der Taz so nicht erfährt, so liegt doch eigentlich auf der Hand, wie es möglich ist, daß seit einigen Jahren sowohl Ökostromproduktion als auch CO2-Emmissionen gleichzeitig steigen: Als Reaktion auf Fukushima sind alle Atomkraftwerke, auf die man irgendwie verzichten konnte, abgeschaltet worden. Der dadurch wegfallende Atomstrom muss natürlich durch andere Quellen ersetzt werden, und dazu sind zur Zeit nur Strom aus fossilen Brennstoffen (Öl, Kohle oder Gas) verfügbar, und dadurch steigen die CO2-Emissionen. Denn die Kernkraft ist wegen dem GAU-Risiko und dem Atommüllproblem zwar höchstproblematisch, hat aber den Vorteil, nicht zur Klimaerwärmung beizutragen. Gas, Kohle und Öl tragen demgegenüber alle erheblich zum Treibhauseffekt bei, Kohle mehr als Öl, und Öl mehr als Gas,

    aber CO2 entsteht in allen drei Fällen - anders als bei Atomkraftwerken.

    • @Yoram Hartmann:

      Ordentlich lesen schützt manchmal vor überflüssigem Kommentieren:

       

      "Prinzipiell verdrängen erneuerbare Energien zwar fossile Kraftwerke, allerdings vor allem moderne Gasturbinen. Stattdessen laufen Stein- und Braunkohlekraftwerke munter weiter. „Deutschland kann sein Klimaschutzziel nur noch erreichen, wenn es die Verstromung von Braun- und Steinkohle deutlich reduziert“, schrieb erst kürzlich der Thinktank Agora Energiewende. Die Versorgungssicherheit wäre damit nicht gefährdet – Deutschland exportiert immer mehr Strom. "

      • @Ute Krakowski:

        Ideal wäre letztlich aus Klimaschutzerewägungen in Deutschland die "Erneuerbaren" Sonne (geförderter Zielausbau 52 GW) und Wind (ebenfalls ca. 52 GW) etc. mit 10 bis 15GW Atomkraft (have run) und Gasturbinen (so viel wie nötig) zu kombinieren.