piwik no script img

Michelangelo: schlapper „Master of Disaster“

Berlin (taz) — Das beste Virenschutzprogramm scheint der mediale Countdown der letzten Tage gewesen zu sein — K.o. für den Festplattenkiller „Michelangelo“ in der ersten Runde.

Die Bilanz des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) am Morgen des vermeintlichen Doomsday der Datenverarbeitung: ein einziger Schadensfall. Immerhin habe man aber bis zum Donnerstag abend 1.000 zum Teil schwerwiegende Infektionen erkennen und beseitigen können. Beim Hamburger Virentestcenter um den Antivirenpapst Klaus Brunnstein sind am Vormittag noch gar keine abgestürzten Rechner zu vermelden, aber „wir haben ja erst gerade aufgemacht“. Ebenfalls Fehlanzeige beim Vertrieb des Virenkillers „McAfee“. Dort freut man sich aber über den „ganz gut angestiegenen Umsatz“.

Scheint der hiesige Medien-Hype den Virus gründlich verschreckt zu haben, schlug er in Uruguay sogar schon am Donnerstag zu. Die Systemuhr im Rechner eines Militärinstitutes war falsch gestellt, so daß „Michelangelo“ schon einen Tag vor des Malers Geburtstag, dem schadenauslösenden 6. März, aktiv wurde. Zumindest in diesem Fall hat der Virus Geschmack bewiesen: betroffen waren „Geheimdienstinformationen über Gewerkschaften und politische Parteien“, wußte die Zeitung 'La Repubblica‘ zu vermelden.

Gegen Mittag tröpfeln dann Schadensmeldungen aus den Tickern. Doch keine Rede mehr von den angekündigten „Zehntausenden“ oder gar „Millionen“ weltweit abgemurkster Festplatten. Das ficht die Virenjäger nicht an. Die breitgetretene Berichterstattung plus breitgestreute Anti-Viren-Programme halfen das Schlimmste zu verhindern, so heißt es jedenfalls beim BSI. Der Hamburger Chaos Computer Club (CCC) hält dagegen die „Virenpanik“ vor allem für eine „Marketingphilosphie“, durch die mediale Verkaufshilfe würden „fragwürdige Vertreter“ der Sicherheitsbranche die Umsatzzahlen für Entseuchungsprogramme und Fachinformationsdienste rechtzeitig zur Computermesse CeBit '92 in die Höhe treiben. Für CCC-Sprecher Steffen Wernery „gehört der Virus zum Computer wie der Rost zum Auto“. „Michelangelo“ sei nicht gefährlicher als andere der mittlerweile 1.200 bekannten Viren. Davon mag auch ein Blick in den „Virus Calender 1992“ zeugen. Allein für März sind noch 13 Tage aufgeführt, an denen dieser oder jener Virus losschlagen wird — angefangen vom Veteranen „Jerusalem“ mit dem Schadensauslöser Freitag, der Dreizehnte, bis zu „Day 10“, der am Zehnten, Zwanzigsten und Dreißigsten jeden (!) Monats sein Unwesen treibt.

Einiges Interesse, den Computerusern die Devise „Arbeite nie mit Raubkopien, das Programm könnte verwanzt sein“ einzuhämmern, hat die Softwarebranche aus rein kommerziellen Gründen: Im Jahre 1989 wurden bundesweit zwar 1,2 Millionen PCs installiert, jedoch nur 650.000 Softwareprodukte verkauft, das Betriebssystem nicht mitgerechnet. Der geschätzte Umsatzverlust durch Raubkopien bewegt sich in Milliardenhöhe. Daß Viren sich vor allem über illegal kopierte Software ausbreiten, widerspricht allerdings den Erfahrungen des Computerspezis Wernery, Orginalprogramme seien ebenfalls betroffen. Er wirft vor allem dem Obervirenjäger Klaus Brunnstein „Verantwortungslosigkeit im Umgang mit den Medien“ und „Irreführung der Verbraucher“ vor. Frank Holzkamp

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen