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Mexikos Präsident und die Fentanyl-KriseZwischen Politik und Wirklichkeit

Präsident López Obrador macht die Familienverhältnisse in den USA für die Fentanyl-Krise verantwortlich. Zu familiärer Gewalt in Mexiko schweigt er.

Schweigt zur familiären Gewalt: der mexikanische Präsident Obrador Foto: Marco Ugarte/ap

A n allem ist die Familie schuld. Die ist verkommen, wie Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador weiß. Nein, nicht die mexikanische. Der Staatschef spricht von den familiären Verhältnissen, unter denen die Menschen in den USA leiden. „Die Familie ist am Zerfallen, es gibt viel Individualismus und es fehlt an Liebe, an Brüderlichkeit, an Umarmungen, an Liebkosungen“, erklärte er jüngst. Ganz schlimm: Die Eltern erlauben es ihren Kindern nicht, lange genug zu Hause zu leben.

Das alles führe dazu, dass im nördlichen Nachbarland immer mehr Menschen von der gefährlichen Droge Fentanyl abhängig würden, ist López Obrador überzeugt. In Mexiko sei das ganz anders. Dort hätten familiäre Werte das Land davor gerettet, dass massenhaft Menschen an dem Rauschgift zugrunde gehen, findet der Präsident.

Familiäre Gewalt ist in Mexiko endemisch

Nun ja, was soll man sagen? Über 160.000 Frauen haben laut dem mexikanischen Ministerium für Sicherheit und Bürgerschutz im vergangenen Jahr familiäre Gewalt angezeigt, zwei Drittel aller weiblichen Opfer werden von ihren Ehemännern, Partnern oder Ex-Partnern angegriffen. Dem Frauennetzwerk Nosotras tenemos otros datos zufolge wird in sieben von zehn Haushalten Gewalt ausgeübt, so viel wie sonst nirgends auf der Welt. Wer würde da ans Ausziehen oder gar an Drogen denken?

Konservative Familienbilder, alternative Fakten und Heimattümelei gegen die vermeintlich heruntergekommene Lebensweise im Imperium gehören zum täglichen diskursiven Arsenal López Obradors.

Millionen Gewehre über die Grenze geschmuggelt

Allerdings wäre es unfair, die nicht minder irren Gedanken jener zu beleuchten, die ihn zu diesen Äußerungen veranlasst haben. Angesichts Zehntausender, die in den USA jährlich an Fentanyl sterben, hatten republikanische Abgeordnete gefordert, dass die US-Armee Drogenlabore und Basen der Mafia auf mexikanischem Gebiet angreift – mit oder ohne Genehmigung der dortigen Regierung. Eine absurde Idee, die aber angesichts einer möglichen Wiederwahl des Republikaners Donald Trump zu einer ernsthaften Bedrohung werden könnte.

Freilich weiß jeder, dass das US-Drogenproblem hausgemacht ist. Dass es ein gesundheits- und sozialpolitisches Thema ist, nicht zuletzt hervorgerufen durch die langjährige Kriminalisierung des Konsums von Marihuana, Kokain oder Heroin. Zudem sind in den USA ansässige Rüstungsfirmen und lasche US-Waffengesetze dafür verantwortlich, dass Millionen Gewehre und Pistolen über die Grenze geschmuggelt werden und der organisierten Kriminalität Mexikos zu ihrer Macht verhelfen.

Es gibt keine Fentanylproduktion in China?

Vieles davon hat die mexikanische Regierung gegen die Angriffsfantasien der Republikaner in Anschlag gebracht. López Obrador hätte es einfach dabei belassen können. Aber vielleicht haben ihn, wie wohl auch die Republikaner, die 2024 anstehenden Wahlen dazu getrieben, die Debatte weiter zuzuspitzen. Jedenfalls erklärte er, in seinem Land werde gar kein Fentanyl hergestellt. Ein paar Wochen vorher hatte das mexikanische Militär 530.000 Tabletten und 30 Kilo Pulver der Substanz beschlagnahmt, über 1.200 Laboratorien wurden seit Ende 2019 hochgenommen.

Zudem bat der Präsident seinen chinesischen Kollegen Xi Jinping, aus humanitären Gründen und wegen der interventionistischen Avancen der Republikaner den Fentanylfluss aus seinem Land zu kontrollieren. Der wiederum antwortete, in China gebe es keinen illegalen Fentanylhandel. Was natürlich ebenfalls Quatsch ist. In den Pazifikhäfen Mexikos wird das künstliche Opiat immer wieder auf chinesischen Schiffen sichergestellt, bewiesenermaßen gibt es in China Tausende Labore.

Zusammengefasst: Rechte US-Politiker wollen die Mafia in einem Land bombardieren, in dem gar kein Fentanyl hergestellt wird, und eigentlich gibt es das Zeug gar nicht, weil der Hauptlieferant China die Droge auch nicht für den illegalen Markt produziert. Im wirklichen Leben sind übrigens am Freitag Regierungsvertreter aus Mexiko-Stadt ins Weiße Haus gereist, um über das Vorgehen gegen mexikanische Kartelle zu beraten, die Fentanyl herstellen und in die USA schmuggeln.

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
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