Film zu Gesellschaftsproblemen in Mexiko: Ein Film für Konservative

Luis Estradas Film „Que viva México" zeigt überspitzt die Polarisierung in „Gute“ und „Schlechte“ auf, die Präsident López Obrador täglich provoziert.

2 Männer mit Schlipsen lachen, rechts neben ihnen eine Frau

Kri­ti­ke­r*in­nen werfen dem Film „Klassismus, Rassismus und Transphobie“ vor Foto: Sony

Luis Estrada hätte sich keinen treffenderen Namen für das Dorf einfallen lassen können, in dem sein neuester Film „Que viva México“ spielt: „La Prosperidad“ ist ein trostloses Kaff irgendwo im trockenen Norden Mexikos. „Der Wohlstand“, das klingt wie viele Orte des Landes nach Aufschwung, nach einst sozialistisch verklausuliertem Optimismus. Und tatsächlich hat La Prosperidad schon bessere Zeiten erlebt. Damals, als aus der Mine noch Gold geschürft wurde.

Doch das ist lange her. Heute ist das Dorf gezeichnet von korrupten Beamten, gewalttätigen Männern, Hinterhältigkeit und großem Elend. Dort lebt die Familie Reyes, eine Ansammlung verarmter skurriler Menschen, die mehr schlecht als recht auf einer heruntergekommenen Hacienda ihr Dasein fristen. Wenig verwunderlich, dass der Reyes-Sohn Pancho vor 20 Jahren dem Kleinöd den Rücken kehrte.

Inzwischen hat er in Mexiko-Stadt Karriere gemacht, muss aber wegen einer Erbschaftsgeschichte in „sein Dorf“ reisen. Der Besuch Panchos und seiner Familie gerät zum Clash der Kulturen: hier die „Fifis“, wie Wohlhabende und Aufsteiger vom Präsidenten Andrés Manuel López Obrador gerne genannt werden, dort die verarmten Angehörigen, bauernschlau, verschlagen, ständig am Feiern.

Der Film „Que viva México“, der Ende März in den Kinos und vergangene Woche bei Netflix angelaufen ist, zeigt sarkastisch überspitzt die Polarisierung in „Gute“ und „Schlechte“ auf, die der Staatschef täglich in seinen Pressekonferenzen provoziert. Der Mexikaner Estrada stellt die Wahrhaftigkeit der Regierungsparole „Die Armen zuerst“ in Frage, ohne hochrangige Po­li­ti­ke­r*in­nen ins Spiel bringen zu müssen.

Und er zieht López Obradors Phrase vom Ende der Korruption ins Lächerliche, in dem er aufzeigt, was selbst die größten Fans des sich als links verstehenden Präsidenten wissen: Dass auch am Ende der Welt Beamten weiterhin ganz selbstverständlich Schmiergeld kassieren und Parteien wechseln wie ihre Hemden.

Keine schlichte Schwarz-Weiß-Schablone

Estradas Filme zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht am schlichten Schema der boshaften Herrschenden und des gutwilligen Volkes festhalten. Sie versuchen, die individuellen Strukturen zu erfassen, die letztlich die Probleme der mexikanischen Gesellschaft zeichnen. Es gefalle Estrada, bei seinen Figuren nicht nachgiebig zu sein und sie an ihren eigenen Widersprüchen und Mängeln zerbrechen zu lassen, so der Filmkritiker José de Jesús Chávez Martinez.

„El Infierno“ (2010) – „die Hölle“ – beschreibt einen aus den USA zurückkommenden Migranten, der in der Mafia den Helden spielen will und in den kriminellen Strukturen zugrunde geht. In „La Ley de Herodes“ (1999) – „Das Gesetz des Herodes“ – verstrickt sich ein naives, einfaches Mitglied der Regierungspartei durch Zufall in korrupte Geschäfte, erlernt die Mechanismen der Macht und endet schließlich als hochrangiger Abgeordneter. Das Gesetz: „Ob so oder so, du bist gefickt.“

In seinem neuen Film geht Estrada noch zynischer vor und benutzt dabei auch abgegriffene Stereotype: ein ständig opportunistischer trinkfreudiger Vater, ein heuchlerischer Pfarrer, eine trans Person, die im Puff arbeitet, eine Familie, die in einem verdreckten Haus mit ihren Nutztieren lebt und jede Chance nutzt, um Geld abzuziehen. „Die Satire braucht diese Provokation“, meint der Filmemacher. Obwohl Privilegierte ebenso ihr Fett abbekommen, werfen Kri­ti­ke­r*in­nen ihm „Klassismus, Rassismus und Transphobie“ vor. Das ist etwas hoch gegriffen, aber zweifellos sind die Darstellungen der Familie Reyes grenzwertig.

Geschenkt, dass López Obrador den Film für „Schund“ hält, den sowieso nur Konservative anschauen würden. Jede andere Äußerung von ihm wäre verwunderlich. Aber die massive Ansammlung von Klischees, auch die vom aufstiegsgeilen „Fifi“ und vom geldgierigen Gringo, erscheinen tatsächlich peinlich und antiquiert. An das Niveau des Gesetzes des Herodes kommt „Que viva México“ jedenfalls nicht heran.

Der Autor ist taz-Korrespondent im Mexiko.

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Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.

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