#Metoo in der deutschen Filmbranche: Im Abhängigkeitsverhältnis
Sexualisierte Gewalt ist im Kunst-, Kultur- und Medienbereich ein anhaltendes Problem. Der Deutsche Kulturrat hat nun Handlungsempfehlungen vorgelegt.
„Sexuelle Gewalt findet nicht nur in Hollywood statt, sondern auch im Hier und Jetzt“, sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) Ende September in Berlin. „Was wir brauchen, ist ein Kulturwandel.“ Anlass war die Übergabe eines Positionspapiers des Deutschen Kulturrats mit dem Titel „Gemeinsame Verantwortung: Für sicheres und respektvolles Arbeiten in Kunst, Kultur und Medien“. Es ist das Ergebnis eines einjährigen Dialogprozesses, bei dem sich Branchenvertreter*innen seit Juni vergangenen Jahres mit der Frage beschäftigten, wie sexualisierter Gewalt und Diskriminierung im Kunst-, Kultur- und Medienbereich entgegengetreten werden kann.
Eine Berlinerin, die im Filmvertrieb arbeitet, erzählt der taz: „Auf einer Arbeitsparty während der Filmfestspiele in Cannes hat mir ein Kunde an die Brüste gefasst.“ Eine andere Kollegin habe er versucht, während eines Meetings zu küssen. Übergriffe wie diese seien nicht alltäglich. „Aber überraschen tut es niemanden, der schon lang in der Branche ist.“
Das Ausmaß des Problems verdeutlichen die Zahlen von Themis, der Berliner Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt. Die 2018 nach dem MeToo-Skandal gegründete Anlaufstelle bietet kostenlose juristische und psychologische Hilfe für Personen aus der Branche an. Im Jahr 2023 wurden dort 884 Beratungen durchgeführt – ein Rekord seit der Gründung und mehr als doppelt so viele wie noch im Jahr zuvor. Ob die Zunahme auf mehr tatsächliche Vorfälle oder auf das gestiegene Vertrauen in die Anlaufstelle zurückzuführen ist, ist unklar.
Abhängigkeiten bereiten den Nährboden für Machtmissbrauch
Auch eine Berliner Schauspielerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, wandte sich bereits an Themis, berichtet sie der taz: „Bei einem Hauptrollen-Casting für einen bekannten Streamer wurde ich von einer der ältesten Produktionsfirmen Deutschlands angewiesen, in möglichst engen Kleidern zu erscheinen und viel Haut zu zeigen.“ Dabei habe es sich um ein historisches Stück gehandelt. Eine Beraterin der Themis riet ihr, Beschwerde einzureichen. Nach einem Gespräch mit Vertrauten aus der Branche entschied sie sich jedoch dagegen. Der Grund: „Dann gilt man als schwierig und bekommt weniger Jobs. Damit hätte ich meine Karriere riskiert“, so die Schauspielerin.
Damit schildert sie eine der branchenspezifischen Herausforderungen des Kunst-, Kultur- und Medienbereiches, die auch in dem Positionspapier hervorgehoben werden: Abhängigkeitsverhältnisse. Verschärft werden diese durch prekäre Arbeitsverhältnisse. Teilweise konkurrieren viele Anwärter*innen um wenige Arbeitsplätze, was zu einem Gefühl der Ersetzbarkeit führen kann. Um prekäre Arbeitsverhältnisse und damit den Nährboden für Machtmissbrauch zu minimieren, wurden im Juli dieses Jahres Honoraruntergrenzen für freischaffende Kreative eingeführt.
Die Oberbeleuchterin Sina Blume befürwortet das: „Eine Honoraruntergrenze schützt auch davor, den ohnehin absurden Gender Pay Gap nicht größer werden zu lassen.“ Laut der Initiative Pro Quote Film liegt der Gender Pay Gap in der Filmbranche bei 35 Prozent und damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 18 Prozent. Am höchsten ist er in der Kameraarbeit, hier unterscheiden sich die Honorare um 57 Prozent.
Frauen, die sich wehren, werden als kompliziert abgestempelt
„Man gilt in einer Branche, in der überwiegend alte Männer in Positionen sind, darüber zu entscheiden, wer gebucht wird, als schwierig und zickig, wenn man den Mund aufmacht“, erzählt Blume. Sie sei noch nie so wenig gebucht worden, wie nachdem sie in einer WhatsApp-Gruppe auf die Missstände in ihrer Abteilung aufmerksam gemacht hatte. „Ich möchte nicht gesagt bekommen, ich würde meinen Job nur machen, weil ich mich ‚daran aufgeile, nur mit Männern zu arbeiten‘“, schrieb sie. Daraufhin hätten sich Personen bei ihr entschuldigt, der Bundesverband Beleuchtung und Kamerabühne habe sie unterstützen wollen. „Alle fanden es ganz toll“, erzählt sie, „aber anscheinend will keiner jemanden am Set haben, die Missstände benennt.“
Die Branche müsse daher „raus aus der falschen Annahme, dass Kultureinrichtungen immun wären gegen sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch“, sagte Claudia Roth. Bereits im März kursierte unter dem Hashtag #genuggeschwiegen ein offener Brief, der Roth aufforderte, gegen Machtmissbrauch an Filmsets vorzugehen. Ins Leben gerufen wurde die Kampagne von der Schauspielerin Merve Aksoy, die dem Regisseur Engin Kundağ vorwirft, entgegen einer mündlichen Vereinbarung Nacktaufnahmen, zu denen sie gedrängt worden sei, im Film „Ararat“ verwendet zu haben. Aksoy erhob daraufhin eine Klage gegen die Produktionsfirma und den Regisseur beim Berliner Arbeitsgericht. Mittlerweile haben mehr als 22.000 Menschen den offenen Brief #genuggeschwiegen unterzeichnet.
In den vergangenen Jahren wurde bereits einiges unternommen. Interne Beratungs- und Beschwerdestellen wurden in Betrieben, Verbänden und Hochschulen eingerichtet, spartenspezifische Verhaltenskodizes wurden erarbeitet und Verbände, Unternehmen und Institutionen führen Fort- und Weiterbildungen durch, um sexualisierter Gewalt und Diskriminierung vorzubeugen.
Forderungen nach besseren Schutzkonzepten
Doch es müssen noch viele Defizite identifiziert und Maßnahmen ergriffen werden, heißt es im Positionspapier. „Dazu gehören Selbstverpflichtungen, Betriebs- und Dienstvereinbarungen, Schutzkonzepte, sensibilisierende Mitarbeitenden-Schulungen, die Evaluation bestehender Regelwerke sowie die gründliche Aufarbeitung bei Fällen von Diskriminierung, Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt am Arbeitsplatz“, so Roth. Sie wolle prüfen, wie das Filmförderungsgesetz, dessen Novelle Anfang des nächsten Jahres in Kraft treten soll, besseren Schutz gewährleisten kann.
Im Positionspapier fordern die Branchenvertreter*innen schließlich eine größere finanzielle Ausstattung bestehender Beratungsangebote. Zudem wird angeregt, dass die Themis den Kreis der Mitglieder*innen öffnet, damit sich Betroffene aus allen künstlerischen Sparten an die Vertrauensstelle wenden können.Bisher ist die Mitgliedschaft auf Verbände und Vereine aus den Sparten Film, Fernsehen, Schauspiel, Theater und Musik begrenzt.
Angesichts der angespannten Haushaltslage könnten Budgetkürzungen den Ausbau jedoch gefährden. In Berlin waren erst vergangene Woche Branchenvertreter*innen von der CDU-geführten Regierung über drastische Einsparauflagen im Kulturetat für die Jahre 2025 und 2026 informiert worden. Der Landesverband Berlin des Deutschen Bühnenvereins sprach von „110 bis 150 Millionen Euro oder mehr“, die 2025 eingespart werden müssten.
Wie weit die Forderungen des Positionspapiers verwirklicht werden können, bleibt abzuwarten. Klar ist: Es braucht nicht nur mehr Ressourcen und strengere Gesetze, um sexualisierte Gewalt in der Branche zu bekämpfen. Es braucht ein gesellschaftliches Umdenken: „Die Scham muss die Seite wechseln“, so Roth.
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