Methanolvergiftungen in Russland: Zur falschen Flasche gegriffen
Im sibirischen Irkutsk haben mindestens 55 Männer und Frauen einen Weißdorn-Badezusatz getrunken. Sie starben infolge dessen an einer Vergiftung.
Weißdorn ist als Heilpflanze bekannt. In Badezusatz zum Beispiel wirkt sie stabilisierend auf Herz und Kreislauf. Im sibirischen Irkutsk griffen seit letztem Freitag mindestens 55 Menschen zur Flasche, jedoch nicht um sie in ihre Badewanne zu entleeren, sondern um sie zu trinken. Die Folge: Tod durch Intoxikation. Ursache ist allerdings nicht das Kraut, sondern das zugesetzte Methanol – ein hochprozentiger Alkohol und äußerst potentes Gift.
Die justizielle Jagd auf jene, die das Produkt semilegal als billigere Alternative für Schnaps vertrieben, hat indes begonnen. Tausende Liter wurden bereits beschlagnahmt. Der Bürgermeister der Stadt Irkutsk hat zudem ein Verkaufsverbot für methanolhaltige Waren verhängt und den Notstand ausgerufen. Premierminister Dmitry Medvedev fordert zukünftig eine striktere Kontrolle für den Verkauf von alkoholischen Haushaltsprodukten und Kosmetika.
Die Tragödie ist sicherlich nicht auf eine Vorliebe der Irkutsker für die Kombination von Weißdorn und Alkohol zurückzuführen, sondern den sozialen Umständen in der Region geschuldet. Die Kombination aus einer Wechselwirkung von wachsender Armut und Alkoholismus plus einer hohen Besteuerung alkoholischer Getränke hält da schon eher für eine Erklärung her, wie eine 2013 veröffentlichte Studie im Journal Alcohol and Alcoholism bestätigt. Im vergangenen Jahr seien in Russland laut Spiegel Online 53.000 Menschen an Vergiftungen durch Methylalkohol gestorben.
Ungeklärt ist bisher die ominöse Tatsache, dass alle Vergiftungsopfer aus dem selben Stadtteil von Irkutsk kamen. Sollte sich herausstellen, dass dem ein kollektiver Suizid zugrunde liegt, könnte dies vielleicht zu einem politischen Umdenken im puncto Armutsbekämpfung und Alkoholismus führen. Sofern denn die wahren Hintergründe in das Licht der Öffentlichkeit treten.
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