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Metamorphose Johanna Diehl hat jüdisches Leben in der Ukraine fotografiert – oder das, was davon übrig ist. Aus ehemaligen Synagogen wurden Festsäle und FabrikhallenDie nackte Wahrheit

von Klaus Hillenbrand

Zugemauerte Eingangstüren und nackte Mauerwände, das schützende Dach zerstört. Räume voller undefinierbarem Gerümpel. Ein früherer Theatersaal mit teilweise umgestürzten, von Staub bedeckten Stuhlreihen. Ein prächtiger Kinosaal mit blauen Vorhängen und dunkelrot bespannten Sitzen, makellos und bereit für die nächste Vorführung.

All diese profanen Räumlichkeiten waren einmal Synagogen gewesen, prunkvolle und einfachere. Die Gebäude haben überlebt. Sie wurden umfunktioniert, bisweilen gar mehrfach. Man hat Supermärkte aus ihnen gemacht oder Büros, Sport- und Lagerhallen, Lichtspieltheater oder Versammlungsräume.

Die Menschen aber sind fort.

Die Fotografin Johanna Diehl ist im Jahr 2013 mit ihrer großformatigen Kamera in die Ukraine gereist, hat gezielt nach den ehemaligen Synagogen gesucht und etliche gefunden. Auf ihren Bildern bleibt selbst das kleinste Detail nicht verborgen. Da sieht man auf einem Foto die Gemälde wilder Tiere in sattgrüner Landschaft, Trauben und naive Bilder imaginärer Landschaften. Ein Symbolbild des heiligen Jerusalems schmückt die Wand. Darunter ist der Fußboden aufgerissen. Ein Fenster ist zugemauert.

Menschen sind auf diesen Bildern nicht zu sehen.

Die Ukraine ist ein von den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gezeichnetes Land. Noch furchtbarer als die übrige Bevölkerung hatten die Juden des Landes zu leiden. Nach Ende des Ersten Weltkriegs und damit der österreichischen Herrschaft über den westlichen Teil des Landes fiel ein Teil an Polen, ein anderer an Rumänien, der große Rest an die UdSSR. Dort kam die Sowjetisierung, in der religiöse Stätten schon bald als rückschrittliche Überbleibsel einer vergangenen Gesellschaftsordnung profanisiert worden sind. Dann kamen, nun in alle Landesteile, die Nazis, die den allergrößten Teil der Juden ermordeten. Es folgte erneut die Diktatur der Kommunisten.

Juden gab es da nur noch sehr wenige. 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind es noch weniger geworden. Wer konnte, ist ausgewandert. Die hölzernen Häuser der dörflichen jüdischen Bevölkerung sind in den Pogromen der Nationalsozialisten verbrannt. Manche Friedhöfe wurden von den Sowjets danach eingeebnet und verschwanden. Geblieben sind die jüdischen Gotteshäuser.

Die Fotos von Johanna Diehl vermitteln das Bild des Verfalls und der Metamorphose. Leere Räume, nur ein hebräischer Segensspruch ziert noch die fleckige Wand. Heruntergekommene Fassaden, hinter denen das Mauerwerk hervorquillt. Ein Konferenzraum mit blauen Stühlen und holzfurnierten Tischen, in U-Form aufgestellt, dazu großzügig drapierte Topfpflanzen. Übriggebliebene Propagandasymbole aus sozialistischen Zeiten.

Mit einer geradezu furchtbaren Detailtreue dokumentieren die Bilder die Folgen mehrfach übereinandergeschichteter Desaster in einem Land, das sich bis heute schwertut mit seiner Geschichte. Ja, man hat in jüngster Zeit auch Synagogengebäude restauriert. Doch es sind sehr, sehr wenige. Die Kultur der Erinnerung steckt noch in den Anfängen, und nationalistisch geprägte Aufwallungen tragen nicht dazu bei, historische Prozesse in dieser einst multiethnischen Region begreiflicher zu machen.

Johanna Diehls Bilder verleiten nicht zu falschen nostalgischen Gefühlen zu der einstigen jiddischen Schtetlkultur voller Rabbis mit Pelzmützen. Und doch sind diese Dokumente der Barbarei zugleich von einer bizarren Schönheit. Der Verfall schafft seine eigenen Reize und scheint uns ehrlicher zu sein als manche polierte Geschichtsklitterung.

Zu sehen ist hier nichts als die nackte Wahrheit.

Das Buch: Ukraine Series. Mit Bildern von Johanna Diehl, Texten von Juri Andruchowytsch und Bernhard Maaz. Sieveking Verlag, München 2015, 160 Seiten, 49,90 Euro

Die Ausstellung: Die Bilder von Johanna Diehl sind noch bis zum 6. März 2016 in der Ausstellung Ukraine Series in der Münchner Pinakothek der Moderne zu sehen

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