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Messe in HannoverTierindustrie will Kuh-Kumpel sein

Die Messe „Euro-Tier“ soll zeigen, wie sich die Branche mit den Themen Klimawandel und Tierwohl auseinandersetzt. Protest gibt es trotzdem.

Kuh-Modelle in einer Melkvorrichtung auf der „Euro-Tier“ Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Hannover taz | Zweimal tritt die Tierbetreuerin der am Boden liegenden Kuh gezielt an ihr Hinterteil, bis diese aufsteht und sich in voller Größe den vielen vorbeischlendernden Menschen präsentiert. Die Kuh befindet sich derzeit zusammen mit unzähligen weiteren Art­ge­nos­s*in­nen in den Messehallen in Hannover. Dort findet noch bis zum Freitag die Messe „Euro-Tier“ statt.

Nachdem die Messe 2020 wegen der Coronapandemie ausgefallen war und 2021 nur digital hatte stattfinden können, füllen sich die Hallen in diesem Jahr wieder. Auf der „Weltleitmesse für professionelle Tierhaltung und Livestock-Management“, so die Selbstbeschreibung, einer Messe für Viehwirtschaft also, stellen in diesem Jahr 1.700 Unternehmen aus 55 Ländern ihre Produkte und Dienstleistungen aus. Deutlich weniger als noch vor vier Jahren, als mehr als 2.500 Aussteller zur Messe nach Hannover anreisten, wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete.

Das Motto dieses Jahres, „Transforming Animal Farming“, stehe für die Auseinandersetzung der internationalen Tierhaltungsbranche mit den drei Kern-Herausforderungen Produktivität, Klimawandel und Tierwohl, sagte der Präsident der die Messe veranstaltenden Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, in seiner Eröffnungsrede am Dienstag.

An vielen Ständen ist Tierwohl ein zentrales Thema. Das Unternehmen Bonilait beispielsweise stellt laut dem Agrarfachmagazin Agrarheute eine neue Futterlösung vor, welche die Auswirkungen von Hitzestress auf Zuchtkälber mindern soll.

In der Halle sind auf Werbebannern in allen Größen die immer gleichen Bilder zu sehen: hungrige Ferkel, die an den Zitzen ihrer Mutter saugen; ein Mensch, der einen Arm kumpelhaft auf die Schultern eines Kalbs gelegt hat und in die Kamera lächelt. Oder eine Collage in Bremer Stadtmusikanten-Manier, auf der Kuh, Schwein und Huhn übereinander gestapelt wurden.

Protest vor und in der Halle

Protest von Seiten der Klimagerechtigkeitsbewegung sowie von Tierschutzorganisationen gab es bislang vor allem am Eröffnungstag. Peta Deutschland hatte vor einem der Messeeingänge zu einer Versammlung mobilisiert, bei der sich rund 20 Ak­ti­vis­t*in­nen versammelten, mit Traktor, Tierkostümen und Kunstblut. Außerdem störten Tier­schüt­ze­r*in­nen der Organisation Animal Rebellion und des Bündnisses „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“ verschiedene Vorträge auf der Messe. Ein*e Ak­ti­vis­t*in klebte sich ans Redner*innenpult, andere erklommen ein Dach einer Messehalle, um ein Banner zu montieren.

Auch innerhalb der landwirtschaftlichen Betriebe gebe es vor allem kleine Akteur*innen, die die Euro-Tier mieden, weil sie sich keinen Nutzen davon versprächen, sagt Pressesprecherin Meerle von „Gemeinsam gegen die Tierindustrie“. Die Messe sei vor allem „eine Bühne für die großen Player“, um sich als ökologische und tierwohl­orientierte Unternehmen zu präsentieren. „Wir fordern eine sofortige Reduzierung der gehaltenen Tiere und langfristig den kompletten Ausstieg aus der Tierindustrie“, sagt Scarlett Treml, Pressesprecherin von Animal Rebellion.

Guido Oppenhäuser, Pressesprecher des DLG, verweist auf taz-Anfrage auf Veranstaltungen zu Themen wie Tierwohl und Umgang mit erkrankten Tieren, die auf der Messe stattfinden. Außerdem vergebe „die DLG zusammen mit dem Bundesverband der praktizierenden Tierärzte auch einen Sonderpreis, den ‚Animal Welfare Award‘“, betont er.

Am metallenen zwischenzeitlichen Zuhause der Messe-Kühe sagt ein Besucher zu seinem Begleiter: „Ich finde das ja nicht gut, dass die die Viecher hier halten.“ Auf Nachfrage erzählt Marco Emde, selbst Landwirt in Ausbildung im Kreis Kassel, dass er keine direkten Anzeichen erkennen könne, die darauf hinwiesen, dass es den Tieren momentan schlecht ginge. „Solange sie wiederkäuen, sind sie entspannt“, erklärt Emde.

Aber dass sie acht bis zehn Stunden am Tag im Messetrubel liegen sollten, bezweifelt der Landwirt. Er stellt die Frage, über die die Tierschutzorganisationen und die Tierhaltungsbranche wohl ewig streiten werden: „Muss das sein?

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2 Kommentare

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  • Solange Artikel wie dieser nicht im Bauernblatt stehen und dort eine Diskussion entfachen, ist eine positive Veränderung nicht zu befürchten

  • Ein Messer, deren Ausstellungsobjekt die komplette Instrumentalisierung und Versklavung leidensfähiger Wesen ist und die Begriffe wie "Wohl" pervertiert und in ihr Gegenteil verdreht. Leider auch eine Gesellschaft, die letztlich selbst vor dem schlimmsten Leid gerne die Augen verschließt, um sich weiterhin mit Tierprodukten die Bäuche füllen zu können. Natürlich lieber, wenn es dem Tierwohl dient und am besten noch zusammen mit dem Klima. Wir lügen uns als Menschen eben gerne in die Tasche, um unsere Gewohnheiten nicht ändern zu müssen.