Merkel über EU-Spitzenkandidat Juncker: Jetzt will sie ihn doch
Im Gerangel um den konservativen Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker hat Kanzlerin Merkel eingelenkt. Nun soll er doch Kommissionspräsident werden.
REGENSBURG dpa | Nach scharfer Kritik an ihrem anfänglichem Zögern hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel klar für den Europawahl-Sieger Jean-Claude Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten ausgesprochen.
Die Europäische Volkspartei (EVP) mit dem luxemburgischen Christsozialen als Spitzenkandidaten sei aus der Europawahl als stärkste Kraft hervorgegangen, sagte Merkel am Freitag auf dem Katholikentag in Regensburg. „Deshalb führe ich jetzt alle Gespräche genau in diesem Geiste, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der Europäischen Kommission werden sollte.“
Bisher hatte Merkel eine ausdrückliche Festlegung auf den luxemburgischen Christsozialen vermieden. Das war beim Koalitionspartner SPD, aber auch in ihren eigenen Reihen auf massive Kritik gestoßen. In Medien wurde Merkels Vorgehen sogar als „dumm“ bezeichnet.
Die Kanzlerin wurde vor Wählerbetrug gewarnt, weil im Wahlkampf betont worden war, dass einer der beiden europaweiten Spitzenkandidaten - Juncker oder der Sozialdemokrat Martin Schulz – auch Kommissionspräsident werde. Das EU-Parlament hatte sich am Dienstag bereits mit großer Mehrheit für Juncker ausgesprochen.
„Europa ist in einem so schwierigen Zustand, dass Europa beide braucht: Juncker und Schulz“, sagte der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel dem Tagesspiegel. Der bisherige EU-Parlamentspräsident und sozialdemokratische Spitzenkandidat bei der Europawahl, Martin Schulz (SPD), müsse der künftigen EU-Kommission angehören.
Die Festlegung von Merkel (CDU) auf Jean-Claude Juncker als neuen EU-Kommissionspräsidenten begrüßt der Koalitionspartner: „Gut, dass der öffentliche Druck Merkel zur Kurskorrektur gezwungen hat“, sagte Generalsekretärin Yasmin Fahimi am Freitag in Berlin. „Alles andere wäre auch Wählertäuschung gewesen.“
Die Regierungschefs aus Großbritannien, Ungarn, Schweden und den Niederlanden hatten aber Bedenken gegen eine schnelle Festlegung auf Juncker. Die 28 Staatenlenker setzten den Ratsvorsitzenden Herman Van Rompuy als Vermittler ein, um mit dem Europaparlament und den Hauptstädten über die Toppersonalie zu verhandeln.
Leser*innenkommentare
Normalo
Merkel hat sich in ihrer "Brandrede" gegen den Versuch des Parlaments gewandt, durch die Blitznominierung Junckers am Dienstag Fakten zu schaffen und den Rat zu überfahren. Ich glaube nicht, dass sie davon jetzt unbedingt einen Rückzieher macht.
Im Übrigen kann man sich wohl fragen, ob "das Mädchen" sich da nicht - möglicherweise auch nicht zum ersten Mal - eher zum Schein zu etwas zwingen lässt, was eigentlich voll in ihrem Interesse liegt: Ein EVPler als Kommissionspräsident wäre wahrscheinlich gegen einige links regierte Schwergewichte der Union aktuell viel schwerer durchzusetzen gewesen, wenn sie, die konservative Kanzlerin des übermächtigen Deutschland, sich von vornherein aktiv für ihn stark gemacht hätte. Was konnte ihr letztlich Besseres passieren, als dass ausgerechnet Francois Hollande sie mehr oder minder inständig bittet, doch Juncker zu unterstützen? Hollande fand es vorgestern noch unheimlich witzig, dass er hier vor laufenden Kamers für die EVP in die Bresche sprang. Jetzt angesichts von Merkels doch ziemlich bereitwilliger "Kehrtwende" wird ihm das Gekicher vielleicht vergehen...
APOKALYPTIKER
Hey , ... das wird ja richtig spannend ! ANGELA BLEIBE STARK !!!
LOL
Celsus
Wenn da Gabriel etwas kritisieren sollte, dann wäre es doch in Wahrheit der Postenkampf. Um Macht im eigentlichen Sinne geht es doch gar nicht so sehr, weil die SPD doch schon lange keinen nennenswerten anderen Politikansatz mehr hat als die EVP. Die SPD machte es doch auch deutlich, indem sie aus Vereinigungen wie der sozialistischen Internationale ausschied.
Was den Postenkampf betrifft: Das hat doch grundlegend die SPD in dem Fall angezettelt. Das war ein einfacher Trick im Europawahlkampf: Wählt SPD, dann wird ein Deutscher Kommisionspräsident. Wer fragt denn schon nach Inahlten, wenn die nationalistische Fahne rausgeholt wird? Haben denn all die Wähler mal gefragt, ob der Kandidat der SPD auch gegen das gehasste TTIP ist? Wollte jemand von ihm wissen, wie es nach seiner Auffassung im Wirtschaftskrieg gegen Russland weitergehen soll und wie die Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft sein würden?
Einige hätte es interessiert. Aber es gab kein einziges Interview dazu. Standen die für die taz und andere Medien alle nicht für Interviews bereit? Selbst im Wahlkampf nicht? Auch das hätte ich gerne im Wahlkampf noch gehört.