Menschenrechtsverletzungen in Tunesien: Opposition kritisiert Abschiebungen
Im Kampf gegen den Terror dringt die Bundesregierung auf mehr Zusammenarbeit mit Tunesien. Doch laut Amnesty werden dort Menschenrechte verletzt.
„Menschenrechtlich gesehen ist Tunesien nicht sicher“, sagte die Sprecherin für Flüchtlingspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, Luise Amtsberg, am Montag. Die Lage sei für alle Flüchtlinge vor Ort katastrophal – sowohl für Tunesier, die in ihr Heimatland zurückgebracht werden, als auch für Flüchtlinge aus anderen Staaten.
Laut Amnesty wurden die menschenrechtlichen Vergehen seitens der tunesischen Behörden vor allem mit dem Verdacht auf terroristische Straftaten begründet. Seit 2015 wende Tunesien Notstandsgesetze an, von denen viele mit Menschenrechtsstandards nicht vereinbar seien, hieß es im Bericht der Menschenrechtsorganisation.
Die Linken-Politikerin Ulla Jelpke bezeichnete den Amnesty-Bericht über Tunesien als „alarmierend“. „Der arabische Frühling stellte in Sachen Folter in Tunesien keine Zäsur dar. Es häuften sich weiterhin die Berichte von schwerer Folter auch mit Todesfolge und sexualisierter Gewalt durch Sicherheitskräfte“, sagte Jelpke. Dass Tunesien immer wieder als Vorzeigestaat dargestellt werde, während Übergriffe und Folter andauern, zeige, dass es der Bundesregierung nicht um Menschenrechte gehe, sondern darum, Flüchtlinge um jeden Preis loszuwerden.
Tunesiens Premier Chahed am Dienstag bei Merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will Premier Chahed am Dienstag im Kanzleramt empfangen. Dabei soll es unter anderem um ein geplantes Abkommen zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber nach Tunesien gehen. Jelpke forderte die Kanzlerin auf, die menschenrechtlichen Probleme in Tunesien anzusprechen. „Die Pläne für die Errichtung von Abschiebelagern für Flüchtlinge in Tunesien müssen sofort eingestellt werden“, sagte Jelpke. Sie stellten einen massiven Angriff auf das Recht auf Asyl dar.
Auch Tunesiens Premierminister Youssef Chahed sieht keine Möglichkeit für Asylzentren in seinem Land. „Tunesien ist eine sehr junge Demokratie, ich denke nicht, dass das funktionieren kann und wir für Flüchtlingscamps hier Kapazitäten haben“, sagte Chahed vor seinem Deutschland-Besuch der Bild-Zeitung (Dienstag). Es müsse eine Lösung zusammen mit Libyen gefunden werden. „Das größte Problem für Europa sind die Flüchtlinge, die aus Libyen nach Italien aufbrechen“, betonte der Premierminister.
Auf die Frage, ob Tunesien künftig abgelehnte Asylbewerber aus Deutschland schneller zurücknehmen wird, sagte Chahed: „Die Kooperation mit Deutschland funktioniert schon jetzt sehr gut. Aber wir brauchen eben von den deutschen Behörden auch klare Beweise, dass es sich wirklich um Tunesier handelt.“ Illegale Immigranten nutzten falsche Papiere, was den Prozess verlängere.
Merkel sieht Tunesien als Hoffnungsprojekt
Die Vorsitzende der Parlamentariergruppe Maghreb-Staaten, Gabriela Heinrich (SPD), betonte die Fortschritte, die Tunesien in den vergangenen Jahren gemacht habe. „Tunesien ist kein Land, in dem es flächendeckend Folter und Gesetze gibt, die das erlauben würden“, sagte Heinrich. Es gehe nicht nur um Gesetze, sondern auch darum, die Köpfe für Demokratie und Menschenrechte zu gewinnen.
Man müsse die bereits in Angriff genommenen Reformen anerkennen, aber das Land auch bei weiteren Reformen unterstützen. Dazu gehöre die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Heinrich hofft, dass die Bundesregierung Tunesien nicht nur als kurzfristigen Partner sieht, sondern die Partnerschaft nachhaltig ausgebaut wird.
Merkel hatte in ihrer wöchentlichen Videobotschaft am Wochenende den politischen Umbruch in Tunesien seit dem Sturz der Diktatur 2011 gewürdigt. Sie bezeichnete den Maghreb-Staat als Hoffnungsprojekt des „arabischen Frühlings“. Die Kanzlerin verteidigte zudem das derzeit im Bundesrat blockierte Vorhaben, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Dies werde für rechtliche Klarheit sorgen und Rückführungen abgelehnter Asylbewerber erleichtern.
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