Menschenrechtler über Burundi: „Man hat versucht, mich zu töten“
Am 17. Mai stimmen die Burunder über die künftige Macht des Präsidenten ab. Pierre-Claver Mbonimpa über Verfolgung und Gewalt im Vorfeld des Referendums.
taz: Herr Mbonimpa, Sie leben in Belgien. Warum haben Sie Ihr Land verlassen?
Pierre-Claver Mbonimpa: Ich verließ das Land, nachdem ich am 3. August 2015 einem Mordanschlag entging. Die Ärzte sahen, dass ich sterben würde, und haben meine Evakuierung verfügt. Seitdem bin ich in Belgien. Ich werde medizinisch behandelt. Ich kann nicht nach Burundi zurück. Dem Anschlag bin ich entkommen, aber vielleicht wollen sie mich umbringen, wie als ich schon im Krankenhaus lag.
Wen meinen Sie mit „sie wollen mich umbringen“? Sind Sie bedroht worden?
Vor dem Anschlag erhielt ich Drohungen. Tagelang ging auf WhatsApp, Twitter und Facebook um, dass ich ermordet worden sei. Viele Menschen kontaktierten mich, um zu fragen, ob ich noch am Leben bin. Am selben Tag fand der Mordversuch statt. Ich habe die Person gesehen. Er folgte mir auf dem Motorrad und schoss viermal, eine Kugel traf mich an der Kehle. Aber er erfüllte seine Mission nicht. Später ist er getötet worden, um Spuren zu verwischen
Wer war es?
Jemand vom Geheimdienst SNR, zuständig für die Stadtviertel Nord und Kamenge in Bujumbura. Wir kannten uns.
Umstrittenes Verfassungsreferendum: Am 17. Mai stimmen die Burunder über eine Verfassungsreform ab, die die Macht von Präsident Pierre Nkurunziza ausbaut und verlängert. Er darf nach Ablauf seiner aktuellen Amtszeit 2020 für noch zwei siebenjährige Mandate kandidieren, also bis 2034 regieren, und seine Befugnisse werden gestärkt. Wesentliche Aspekte des Arusha-Friedensabkommens aus dem Jahr 2000, das einen Bürgerkrieg mit 300.000 Toten zwischen der damaligen Tutsi-geführten Armee und Hutu-Rebellen beendete und Hutu-Rebellenführer Nkurunziza an die Macht brachte, werden aufgegeben, so die Verpflichtung, mehrere Parteien in die Regierung aufzunehmen. Die Opposition sagt, damit untergräbt Nkurunziza die Säulen des Friedensordnung Burundis.
Mbonimpa – ein Interview mit Folgen: Auszüge aus dem hier veröffentlichten Interview, geführt am 19. April, wurden am 28. April im französischen BBC-Programm „BBC Afrique“ ausgestrahlt. Burundis Regierung erklärte dazu, „eine mit Haftbefehl gesuchte Person“ habe „hetzerische Erklärungen getätigt, die die Burunder zum Hass und zur Subversion aufrufen“, und hat am 4. Mai BBC für sechs Monate verboten, ebenso den US-Sender Voice of America. Da trifft vor allem die beliebten lokalen Programme der beiden Sender in der burundischen Kirundi-Sprache. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat das Radioverbot kritisiert.
Sie sind ein Menschenrechtskämpfer, kein Politiker, aber was halten Sie vom Referendum am 17. Mai?
Das Referendum interessiert mich sehr, denn es gibt eine Verbindung zum Mordanschlag auf mich. Ich hatte Nein zu einer dritten Amtszeit für Pierre Nkurunziza gesagt. Das Referendum wird den Burundern nur Unglück bringen. Wir haben in Burundi die Monarchie erlebt. Die Könige wurden ermordet. Wir haben einen Schritt Richtung Demokratie getan, und jetzt macht Nkurunziza einen Rückschritt und will die Monarchie restaurieren.
Sie halten die Verfassungsänderung für einen Versuch der Restauration der Monarchie?
Nkurunziza sagt selbst, dass er der König von Burundi werden wird. Wir wollen vorankommen. Man spricht von einem ethnischen Problem, aber das ist falsch. Die Mehrheit derjenigen, die Nein zur dritten Amtszeit sagten, waren seine eigenen Parteifreunde im CNDD-FDD (Regierungspartei und frühere Hutu-Rebellion, Anm. der Redaktion). Ich verfüge über eine Liste von 82 Personen, davon nur zwei Tutsi. Die anderen sind Hutu, die mit Nkurunziza in der Rebellion waren. Wieso wollte man mich umbringen? Ich bin Hutu wie Nkurunziza, ich komme aus derselben Gemeinde wie er und wir leben in derselben Provinz. Warum also? Nach dem Scheitern meiner Ermordung hat er mein Kind und meinen Schwiegersohn umgebracht. Das waren keine Tutsi. Ein anderes Beispiel: Adolphe Nshimirimana, ehemaliger Leiter des SNR, wurde am 2. August 2015 ermordet. Wer hat Adolphe ermordet?
Staatsfeinde?
Ich sage: Die Staatsmacht hat Adolphe Nshimirimana ermordet. Wir haben Beweise.
Wieso hätte die Staatsmacht das tun sollen?
Ein interner Konflikt. Und wieso wurde die Abgeordnete und frühere Ministerin Hafsa Mossi ermordet? Weitere sind ermordet worden. Da bringen sich nicht Leute gegenseitig um, da tötet die Staatsmacht.
67, ist Leiter des „Verbandes zum Schutz der Menschenrechte und Häftlinge“ (APRODH) in Burundi. Der ehemalige Polizist gründete den Verband, nachdem er 1994–96 während des Krieges inhaftiert und gefoltert wurde. 2015 entging er einem Mordanschlag, seitdem lebt er im belgischen Exil.
Steht also alles im Voraus fest? Es gibt Berichte, wonach die Imbonerakure-Miliz der Regierungspartei mit Knüppeln unterwegs ist. Es dürfte schwer sein, eine andere Meinung zu äußern als die des Präsidenten.
Ich sage das schon lange. Es gibt einen Plan, den man safisha nennt – ein Swahili-Wort für „wegfegen“. Mit safisha hat man begonnen, Menschen der Oppositionsparteien auszuradieren. Es gibt heute kein großes Problem zwischen der Staatsmacht und den Tutsi. Das große Problem besteht unter Hutu. Aber Tutsi werden ermordet, aus Hass, aus Rache. Man sagt: 1972 haben die Tutsi die Hutu getötet, also wollen sie sich heute rächen. Aber ich, Hutu, ich sage, dass diese Kinder, die jetzt getötet werden, nicht diejenigen sind, die damals getötet haben.
Die Opposition scheint gespalten zu sein. Manche sagen, man muss beim Referendum mit Nein stimmen. Andere sind für einen Boykott.
Für mich gibt es keinen Unterschied. Es stimmt, die Opposition war nicht geeint, aber die Dinge finden zu einer Lösung. Wir haben vor einem Monat mit dem Bürgerforum begonnen, Opposition, Medien und Zivilgesellschaft zusammenzuführen. Jetzt treten wir vereint auf. Wir müssen alles tun, damit dieses Referendum nicht stattfindet, denn es könnte einen Bürgerkrieg provozieren. Die Bevölkerung ist schon unglücklich und arm. Sie stirbt an Malaria und Hunger. Es gibt 400.000 Flüchtlinge in Ruanda und Tansania. Man presst Kopfsteuern aus der Bevölkerung. Die Menschen haben kein Einkommen, aber wer nicht zahlt, wird eingeschüchtert und gefoltert.
Die Staatsmacht hat in den vergangenen Jahren die Protestbewegungen als vor allem städtisch dargestellt und gesagt „unsere Basis ist auf den Hügeln“. Was sagen Sie dazu?
Ich komme von den Hügeln. Nkurunziza auch. Wir kennen unsere Bevölkerung. Sie lebt in Angst. Wenn ich zu freien Wahlen gegen Nkurunziza antreten könnte, würde Nkurunziza keine 20 Prozent holen!
Würden Sie denn antreten?
Na ja, in meinem Alter, ganz ehrlich … Ich kann andere fördern. Aber im Notfall könnte ich.
Die internationale Gemeinschaft scheint machtlos zu sein, einen Dialog zwischen Staatsmacht und Opposition herbeizuführen.
Diplomaten werden nicht die Lösung für die Burunder finden. Wir müssen sie finden.
Ist das der Kern Ihres Kampfes, der jetzt mit einem Ehrendoktor gewürdigt wird?
Mein Kampf besteht darin, die Bevölkerung zu schützen. Wenn Nkurunziza mich töten könnte, damit die Burunder eine Lösung finden, wäre ich einverstanden. Man hat versucht, mich zu töten. Man hat meinen Sohn und meinen Schwiegersohn getötet. Ich habe viele Menschen gesehen, denen man auf der Straße die Kehle durchgeschnitten hat, junge Leute, die ich geholfen habe, würdig zu begraben. Der Ehrendoktor ermutigt mich und meine Mitstreiter in der Zivilgesellschaft weiterzumachen, um für eine Lösung des burundischen Problems ohne Gewalt einzutreten.
Das vollständige Interview im französischen Original lesen Sie hier.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“