: Melancholic Listening
■ Trauer muß der Tanzflur tragen: Die "Dense Music" von Whirlpool findet zurück zu "essentiellen Erfahrungen"
Interviewtermine zur Frühstückszeit sind oft eine zähe Angelegenheit, können aber auch aufschlußreich sein. Während Justus Köhnke, Hans Nieswandt und Eric D. Clark die Reste ihres Morgenmahls verzehren, tun sie kund, daß es letzte Nacht wieder spät geworden sei. Denn im Hamburger Pudelclub waren die Geburtstage von Ted Gaier und Jochen Distelmeier zu begießen. Zur Erinnerung: Beide sind Protagonisten der Bands Goldene Zitronen beziehungsweise Blumfeld, gehören demnach einer Szene an, die für eine besondere Affinität zur Housemusik, dem Gefilde von Whirlpool Productions, nicht bekannt ist. Oder, wie es eine Hamburger Szenekennerin formulierte: „Das sind diese intellektuellen Jungs, die mit ihren Schlaghosen immer in der Ecke stehen.“
Obwohl Clark, Köhnke und Nieswandt in Köln arbeiten, gehören sie zu denen, die eine Hamburger Spezialität anzurichten halfen. Um das Label Ladomat 2000 ist in der Hansestadt während der letzten 24 Monate eine kleindeutsche Lösung der Situation entstanden, die Ende der achtziger Jahre um das Londoner Label Creation existierte. Dort gingen für einen historischen Moment britischer Noisepop mit Amihouse zusammen, was 1991 einen Höhepunkt in der LP „Screamadelica“ der Gitarrenband Primal Scream fand, auf der sich ein House-DJ wie Andrew Weatherall, die Ambient-Päpste The Orb, der Rolling-Stones-Produzent Jimmy Miller zueinanderfanden. Dementsprechend ist Ladomat der Ort, an dem in der Indieszene sozialisierte norddeutsche Schlaghosenträger noch etwas hüftsteife Housetracks veröffentlichen dürfen.
Inmitten dieses Crossovers zwischen Gitarre und Four-to-the- Floor nimmt sich Whirlpool Productions aus wie Al Pacino in einer Laienschar – schließlich sind Clark und Nieswandt weltläufige House- DJs, und letzterer bemüht sich journalistisch seit Jahren um die Vermittlung internationaler Standards.
Ihr zweites, über Motor Music vertriebenes Album „Dense Music“ vereinigt, wie der Titel schon vermuten läßt, unterschiedliche Arten von Musik und unterschiedliche Weisen des Musizierens, bleibt aber in jedem Moment – auch das sagt der Titel – an Tanzmusik (sprich: House) gebunden. Plünderten Whirlpool für ihr Debüt „Brian de Palma“ noch offensichtlich ihren Plattenschrank und erfreuten so jene KennerInnen, die die Quellen der Samples aufzuspüren vermochten, sind sie in dieser Hinsicht nun zurückhaltender. „Es wäre für uns witzlos gewesen, wieder auf denselben Fundus zurückzugreifen“, erzählt Nieswandt, „insbesondere weil es in den vergangenen Monaten eine Schwemme von Houseplatten gab, die auf 70er-Samples basieren.“
Aber nicht nur die Quellen haben sich verändert, sondern vor allem die Art, wie mit dem „Material Musik“ umgegangen wird. Ausschlaggebend war dafür der zweiwöchige Aufenthalt des Trios in den Can-Studios nahe Köln. Köhnke betont: „Wir wollten da aber auf keinen Fall irgendeinen Mythos abstauben. Wir suchten lediglich ein Studio, wo wir den Gesang für ,The Cold Song‘ aufnehmen konnten.“ Der angesprochene Track treibt jedem Menschen, der nur ein Quentchen Gefühl für Pop hat, Sonne ins Gemüt. Ein Sommerhit, der keiner wurde – aber es gab ja auch keinen Sommer. HörerInnen, die sich über die „richtigen“ Instrumente bei diesem Stück freuen, spricht Nieswandt ins Gewissen: „Wichtig ist, daß das Stück nicht aus einer Akustikversion entstanden ist, zu der dann die Beats hinzukamen. Das Stück ist ein recht artifizielles Produkt.“
Gitarren, Klavier und Gesang wurden erst ins Kalkül gezogen, nachdem der Track elektronisch schon produziert war. Daß die „Ergänzung“ aber überhaupt als Möglichkeit in den Horizont von Whirlpool trat, lag an der Berührung mit den über Generationen angehäuften Mitteln im Can-Studio. Das Stück „Gehende Katzen“ ist dafür das beste Beispiel. Der Toningenieur René Tinner stellte zwei kleine Lautsprecher, durch die einige Soundloops klangen, ins Fenster und nahm den Gesamtsound dann auf. Heraus kam eine vierminütige Geräuschkulisse, hinter der sich ein Whirlpool-Fragment versteckt. „Auf diesen Ansatz wären wir von uns aus nicht gekommen. Da haben wir von der Akustikexperimenterfahrung profitiert, die sich in diesem Studio seit Jahrzehnten angesammelt hat“, bekennt Nieswandt. Einer der schönen Momente auf „Dense Music“ ist der Übergang von diesem Klangexperiment in den getragenen Housetrack „One Two“. Das klingt, als arbeite sich die Band langsam wieder zu ihrem eigenen Gebiet vor, ohne damit gegenüber der gerade gemachten neuen Erfahrung auftrumpfen zu wollen. Diese Zurückhaltung ist generell ein Merkmal dieser Platte, das sich auch in immer wieder auftauchenden traurig, fast düster klingenden Sounds ausdrückt. „Düster vielleicht nicht, ergreifend eher“, verbessert Nieswandt, „aber ich finde das Thema ,traurige Tanzmusik‘ sehr wichtig und attraktiv, das hat was mit essentiellen menschlichen Erfahrungen zu tun.“ Martin Pesch
Whirlpool Production: „Dense Music“ (Ladomat 2000/Motor Music)
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