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Mein kleiner Signifikant

Mechanismen der Gegenübertragung treffen auf die der Gegenüberweisung: Das Arsenal zeigt „Le Ping Pong d’amour“, die erste Doku-Soap aus dem scheinfranzösischen Kreuzberg

von DETLEF KUHLBRODT

„Le Ping Pong d’amour“ ist der hübsch klingende Titel einer „fiktionalen Dokusoap“, die im Umfeld des berühmten Kreuzberger Buchladens b-books entwickelt wurde und deren erste vier Folgen heute Abend im Arsenal vorgestellt werden. In dem wort- und anspielungsreichen Werk geht es um die Abenteuer „einer Wohngemeinschaft zwischen Subsistenz und Subjonctif“ (Presseheft). Alles spielt in einem scheinfranzösischem Umfeld: Die Protagonisten reden deutsch mit französischem Akzent, Françoise Cactus singt den Titelsong, jeder ist stilsicher angezogen (hübsche Pullover, aber dezent), man raucht gern und viel, aber auch wieder nicht suchtmäßig saugend. Alles wirkt intellektuellenpopmäßig zurückgenommen arty, sexy, intellektuell und verschiedentlich gebrochen an der Nouvelle Vague orientiert, die in Deutschland ja nie so richtig angekommen war, mögen Godard und seine Schlingelanten auch als Gott und Nebengötter verehrt worden sein.

Im Presseheft heißt es: „In der ‚Soap Verité‘ stößt Lacan auf Godard“, und „die Mechanismen der Gegenübertragung“ stoßen „auf die der Gegenüberweisung und Truffaut auf die von ihm ausgelösten Projektionen“. Was Schönes also für gebildete Menschen, PhilosophiestudentInnen mit Stilbewusstsein, Popappeal und Interesse an den Arte-Klassikern der französischen Moderne. Das Studium hat sich gelohnt. Die Räume der französischen Fabriketage über den Dächern Berlins sind immer stilsicher unaufdringlich, und naturgemäß verzichtet diese Doku-Soap auf größere Spannungsbögen. Es geht halt los und dann weiter.

Am Anfang also – ein wirklich sehr schöner Videoclip mit Esprit und herumschwimmenden Worten in prima 60s-Farben – werden die interessant aussehenden ProtagonistInnen vorgestellt: „Gérard: protofeministisch, barock, unbelesen“. „Herbertine: raisonabel, schizopreussisch, elegant“. „Cri-Cri: verstohlen, toll, prüde“. „Thierry: sortiert, ritterlich, adrett“, „Pauline: idyllisch, radikal, naschhaft“. „Tibout: klar, psychedelisch, delogiert“.

Der Wahlspruch des gemeinschaftlichen Lebens und Arbeitens: „Ein individuelles Leben ist eine serialisierte kapitalistische Minikrise. Ein Desaster, das deinen Namen trägt.“ Tibout arbeitet an der Herstellung eines denkenden Joghurts, Thierry ist freier Marktforscher und lässt Leute Joghurts testen, der Vermieter Jean Giselain (Stephan Geene) ist zugleich Psychoanalytiker, Herbertine gibt „abenteuerpädagogische Französischkurse“: „Worte müssen gefährlich funkeln.“

Manchmal kommt das Ping-Pong-Spielen als Spiegelstadium im Wiederholungszwang vorbei; der Einzelne und sein Eigentum spielen gegen einen Spiegel in der Mitte des Tischs, was zugleich auch Symbol des kreativen Schaffens sein soll: Die Haltung des Schlägers, die Thierry entwickelt hat, nennt sich „le stylo“. Wer mag, kann den Léo-Ferré-Klassiker „Le style c'est ton cul“ weiterassoziieren. Das wäre dann quasi das Gegenstück zu dem Satz, den Sandrine, „zweite Tochter Althussers“, Gérard entgegenwirft: „Du fühlst dich wohl privilegiert mit deinem kleinen Signifikanten.“

Die vier Teile der ersten Staffel von „Le Ping Pong d'amour“ tragen die Namen „Stil“, „Arbeit“, „Geld“, „Liebe“. Manchmal kauert jemand im Regal eines Baumarktes: „Ich dachte, als Ware wäre alles einfach.“ Darüber hinaus passiert nichts Erzählenswertes. Ist das schön, unterhaltend, lehrreich? Einerseits ja, andererseits nein.

„Le Ping Pong d'amour“ – Eine fiktionale Doku-Soap, Staffel 1, 88 Min., Digi-Beta/DV, D 2002, heute ab 21 Uhr, Arsenal, Potsdamer Straße 2, Tiergarten

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