Mein Nachbar von der AfD: Thorsten, der Brüller von Sylt
Unser AfD-Nachbar Thorsten schreit immer „Ausländer raus“, wenn er mich sieht. Wie ich meiner Tochter Hatice erkläre, woran das liegt.
S eitdem die AfD im Parlament sitzt, ist alles schlimmer geworden. Alles vielleicht nicht, aber einiges schon. Ich kann nicht mehr aus dem Haus gehen, ohne blöd von der Seite angepöbelt zu werden. Immer wenn ich den Karnickelweg verlasse und um die Ecke in die Ziegenstraße biege, schallen mir „Ausländer raus!“-Rufe entgegen. Wenn ich alleine unterwegs bin, nehme ich es sportlich und grüße höflich mit einem Finger zurück. Aber wenn meine kleine Tochter Hatice dabei ist, verkneife ich mir das natürlich.
„Warum schreit der Mann immer ‚Raus, raus!‘, Papa?“, fragt Hatice mit großen Augen.
„Keine Ahnung. Vielleicht ist ja bei ihm ein Dieb im Haus“, lüge ich notgedrungen.
„Er brüllt ‚Ausländer raus!‘, Papa. Heißt Ausländer Dieb, Papa?“, fragt Hatice.
„So habe ich das nicht gehört“, lüge ich weiter. Wenn man einmal damit anfängt.
„Hallo Osman, Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“, werde ich diesmal namentlich erwähnt.
„Thorsten, ich habe dir schon hundertmal gesagt, wenn ich mit meiner Tochter unterwegs bin, dann sollst du nicht so rumbrüllen.“
„Osman, tickst du nicht richtig? Ich kann doch nicht als Geschäftsführer der AfD tatenlos zugucken, wenn Ausländer vor meiner Nase vorbeimarschieren. Das gehört sich einfach nicht.“
„Dann dreh dich einfach um und guck die Wand an, wenn ich komme. So mache ich das mit euch Faschos auch“, gebe ich meinem Nachbar nützliche Ratschläge.
„Ich kann nicht weggucken. So ist nun mal das Geschäft. Was würden sonst die Leute sagen?“
„Was für ’n Geschäft denn?“
„Hallo, hast du das etwa immer noch nicht mitgekriegt? Ich bin der neue stellvertretende Geschäftsführer der AfD hier im Stadtteil.“
„Tolle Sache. Aber etwas Respekt darf ich ja wohl erwarten. Schließlich verdankt ihr alle eure Wählerstimmen uns Ausländern. Ohne uns gäbe es euch überhaupt nicht. Und wie soll ich bitteschön meiner Tochter erklären, was ‚Ausländer raus!‘ bedeutet, ohne dem Kind weh zu tun? Aber so langsam muss ich sie wohl mit der rauen Wirklichkeit in Deutschland bekannt machen.“
„Siehst du, es hat sich bereits gelohnt, dass ich Geschäftsführer geworden bin. Bisher war ich nur eine kleine Nummer in der AfD-Hierarchie…“
„Ich weiß, ich weiß, jetzt bist du der ‚Nazi-Brüller von Sylt‘. Tolle Karriere, Thorsten, gratuliere“, sage ich total genervt und gehe weiter.
„Ausländer raus, Ausländer raus!“, brüllt er uns hinterher.
„Papa, da ist wieder ein Dieb bei ihm im Haus. Willst du ihm nicht helfen?“
„Nein, Hatice. Ihm ist nicht mehr zu helfen.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt