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■ Kohl gibt ein Interview zum Koalitionsstreit. Ist das wirklich Kohl?Mehr von außen und hoch reinflanken!

Die Ära Helmut Kohl ist seit Jahren dabei, zu Ende zu gehen. Man weiß schon gar nicht mehr, wann das mit dem Ende angefangen hat, und erst recht nicht, wann es aufhört. Ist Kohl eigentlich noch Kanzler?

Das gestrige Interview in der Bild-Zeitung gibt darüber nicht endgültig Aufschluß. Dort wird ein gewisser Helmut Kohl (CDU) als Bundeskanzler vorgestellt. Diese Person äußert sich zum jüngsten Koalitionsstreit mit der CSU. Wird ja auch Zeit, denkt man sich zuerst, tagelang war aus dem Kanzleramt nichts zu hören, endlich ein Machtwort. Aber dann das: Sätze, so hilflos wie das Spiel von Andreas Möller, null Offensivkraft, keine Idee. Frage Bild: „Hat die Union die Wahl endgültig verloren gegeben?“ Antwort der Person, die sich als Helmut Kohl ausgibt: „Nein, selbstverständlich nicht. Meine Ausgangsposition ist klar: Die Union wird gemeinsam mit der FDP die Bundestagswahl gewinnen.“ Frage: „Wie wollen Sie das Ruder noch herumreißen?“ Antwort: „Wir werden den SPD-Kanzlerkandidaten stellen. Wir werden nicht zulassen, daß er sich um jede Antwort herummogelt.“ So schleppt sich das ganze Interview dahin: „Die Zwischentöne, die aus der FDP zu hören waren, habe ich zur Kenntnis genommen.“ Zur Kenntnis genommen! Ist das alles? Führt man Deutschland so ins nächste Jahrtausend? Das ist nicht unser Kanzler. Schluß mit dem Streit! hätte der richtige Helmut Kohl gebrüllt. Waigel, hier gilt, was ich sage! Protzner, von Ihnen will ich bis zur Bundestagswahl 2006 nicht mal mehr ein Semikolon lesen! Punkt, aus, Feierabend!

Das Bild-Interview offenbart das völlige Verschwinden des Kanzlers. Kohl hat Politik immer als eine Art Naturvorgang verstanden: Alles wiederholt sich, immer wieder. Jetzt heißt es, die Realität habe sich verändert. Da hat er sich zurückgezogen.

Er sitzt, wie wir nur zehn Zentimeter unter dem ominösen Interview ebenfalls in der Bild-Zeitung erfahren, in seinem Bungalow und guckt Fußball. „Helmut Kohl arbeitete am Schreibtisch – bei eingeschaltetem TV mit gedrosseltem Ton“, schreibt Mainhardt Graf Nayhauß. „Eingetretene Mitarbeiter bekamen die fachmännischen Kommentare des einstigen Mittelläufers am Ludwigshafener Gymnasium in der Leuschnerstraße zu hören: Mehr von außen und hoch reinflanken!“ Also doch. Der Kanzler arbeitet im Untergrund weiter am Wahlsieg. Seine Geheimwaffe: Mehr von außen und hoch reinflanken. Schröder hat keine Chance. Politik ist ein Spiel, bei dem zweiundzwanzig Parteien durchs Land rennen, und am Ende gewinnt immer Helmut Kohl. Jens König

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