Mehr oder weniger Bildung: Alle Schuljahre wieder
Mit 50 noch nicht neu besetzten LehrerInnen-Stellen starten Bremens Schulen ins Versetzungshalbjahr. Laut GEW fehlen sogar 280 Lehrkräfte.
BREMEN taz| Am heutigen Montag beginnt das neue Schulhalbjahr und – täglich grüßt das Murmeltier – sowohl Gewerkschaft als auch Schülervertretung klagen über zu wenig LehrerInnen, über Unterrichtsausfall und überfüllte Klassen. Und: 50 der 90 durch Pensionierungen frei gewordenen LehrerInnenstellen sind trotz Unterrichtsbeginn noch nicht wiederbesetzt.
Allerdings, so Bremens Bildungssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD), laufen noch Bewerbungsgespräche. Für Fächer wie Chemie oder Englisch sei es schwierig, FachlehrerInnen zu finden. Dass es nicht genügend VertretungslehrerInnen gäbe, wies die Senatorin indes zurück. Der Senat hätte jüngst zusätzliches Geld dafür genehmigt.
„Flickwerk“, sagt dazu Petra Lichtenberg von der GEW. Eine Verstärkung der Vertretungsreserve sei ohnehin längst überfällig gewesen, „aber darüber hinaus sind Vertretungslehrer eben kein Stammpersonal. Das benötigen wir dringend – und zwar weitaus mehr als das eingeplante“. Die Behauptung, mit dem Bildungsetat des neuen Doppelhaushaltes sei die Unterrichtsversorgung in Bremen gewährleistet, nennt Lichtenberg „schlichtweg falsch“.
Für den Personalmehrbedarf zur Umsetzung der Inklusion und zum Aufbau der Ober- und Ganztagsschulen habe der Landesrechnungshof bereits 2012 einen Mehrbedarf von 20 Millionen Euro jährlich beziffert, „aber nichts ist passiert, im Gegenteil“, sagt Lichtenberg. Die Mittel für Bildung seien im vergangenen Haushalt um drei Millionen Euro und in diesem um vier Millionen Euro gekürzt worden.
„Als der Senat verkündet hat, dass es jetzt mehr Geld für die Schulen geben wird, hat er uns verschaukelt.“ Das „mehr“ habe sich nämlich auf die Mittel bezogen, die die ehemalige Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) bekommen sollte – und die trat schließlich zurück, weil sie, anders als ihr grüner Koalitionspartner, den ihr zur Verfügung stehenden Bildungsetat für nicht hinreichend ausgestattet hielt.
Laut GEW fehlen in Bremen nicht nur die geplanten und noch unbesetzten 50 LehrerInnen-Stellen, sondern mindestens 283. „Unter anderem liegt das“, so Petra Lichtenberg, „an der Berechnung des durchschnittlichen Lehrkräftebedarfs nach demografischer Entwicklung.“ Schließlich würden ja keine Klassen zusammengelegt und damit LehrerInnen-Stellen frei, „bloß, weil in jeder Klasse zwei Schüler weniger sind – dann müssten wir ja Klassenverbände von 30, vierzig Schülern unterrichten.“
An solchen Berechnungen liege es auch, dass die zum neuen Halbjahr freigewordenen Stellen zwar besetzt würden, „aber an anderen Schulen – nicht dort, wo sie jetzt fehlen“. Daneben würden Unterrichtsstatistiken viele Unterrichts-Ausfälle nicht erfassen, hierfür würden sogenannte Selbstlernzeiten verordnet, die man dann als „erteilten Unterricht“ bewerte und erfasse.
Von Unterrichts-Ausfällen erzählt auch Marc Castendiek, Vorstandsmitglied der Bremer GesamtschülerInnenvertretung (GSV): „Zwölf Prozent aller Stunden fallen aus.“ Er wisse von neunten Klassen, wo über mehrere Monate hinweg der Mathematikunterricht ausgefallen sei: „Und zum neuen Schuljahr gibt es wieder einmal keine Planungssicherheit.“
Die GSV will sich jetzt mit der GEW und dem Zentralen Elternbeirat zusammensetzen „und dann schauen, was wir gemeinsam machen können“. Die SchülerInnenvertreter haben sich laut Castendiek jedenfalls schon einmal „einstimmig für mehr Schulstreiks und Schulbesetzungen ausgesprochen“. Und auch die GEW scharrt bereits mit den Hufen: „Die neue Bildungssenatorin ist im Umgangston diplomatischer als ihre Vorgängerin, aber geändert hat sich trotzdem nichts.“
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