Mehr intakte Natur in Europa: Meere, Moore und Massenproteste
Endlich bekommt die EU ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur. Umweltschützer sprechen von einem Meilenstein, Landwirte sind erbost.
Nun müsse das Gesetz „unter Einbeziehung der Landbesitzer:innen und -nutzer:innen umgesetzt werden“, sagt die EU-Abgeordnete der Grünen, Jutta Paulus. Für Moore bedeutet dies etwa, dass bis zum Jahr 2030 ein Drittel der für die Landwirtschaft entwässerten Moorflächen restauriert werden müssen, ein Viertel davon wiedervernässt. Für Franziska Tanneberger, Leiterin des Greifswald Moor Centrums, heißt das: „Wir müssen und können jetzt zeigen, dass Landwirtschaft auf nassen Moorböden möglich ist.“ Kein Landwirt solle von seinem Betrieb verdrängt werden.
„Wir haben so viele Anfragen aus der Zellstoff- und Bauindustrie“, sagt Tanneberger, „die sehen in Produkten etwa aus Schilf ein großes Potenzial“, so die Biologin, „es wird uns gelingen, dass sowohl Landwirte als auch die Gesellschaft einen Mehrwert aus wiedervernässten Mooren gewinnen.“ Klar sei, dass alle Vorhaben zum Schutz von Klima und Biodiversität nur gelängen, wenn die Entwässerung der Moore im großem Umfang gestoppt wird. Bundesumwelt- und Landwirtschaftsministerium förderten daher jetzt über zehn Jahre sieben großflächige Modellprojekte in Norddeutschland und eins in Bayern, in denen Flächen wiedervernässt und mit Paludikultur bewirtschaftet werden. Dort wird mit Pflanzen und Tieren gearbeitet, die mit dauerhaft nassen Standorten sehr gut zurechtkommen.
Meere in desaströsem Zustand
Auch für die Meere sei das Wiederherstellungsgesetz eine große Chance, sagt Caroline Schacht, Meeresexpertin des WWF. „80 Prozent der europäischen Meere sind in desaströsem Zustand“, so Schacht, „daran haben alle Maßnahmen der letzten 20 Jahre nichts geändert.“ Das neue Gesetz spanne einen ganz neuen Rahmen und beziehe etwa fischereipolitische Maßnahmen ein.
Wichtig sei nun vor allem, den Zustand der Küstenregionen von Nord- oder Ostsee zu verbessern. „Die übermäßigen Stickstoffeinträge der Landwirtschaft dort schaffen Todeszonen“, sagt Schacht, „das müssen wir beenden.“ Außerdem müssten Laichgebiete etwa von Hering und Dorsch geschützt werden „Das Meer wird immer mehr zum Industriegebiet, die Pläne zum Ausbau der Windenergie oder zur Speicherung von Kohlendioxid erhöhen den Druck.“ Es müsse sichergestellt werden, dass es genügend Platz für den Schutz der Meere gebe und nicht nur geschützt werde, was übrig bleibt.
Zudem sollen auf 20 Prozent der Landflächen Renaturierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Wenig konkret heißt es, dass die Mitgliedstaaten „geeignete und wirksame Maßnahmen“ ergreifen sollen, um etwa Bestäuberpopulationen wie Schmetterlinge und Wildbienen zu erhalten. Solcherlei Vorgaben bringen derzeit die Landwirte europaweit auf die Straßen. Am Montagabend waren deren Proteste in Brüssel eskaliert, die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer ein. Insgesamt 900 Traktoren blockierten die Straßen im EU-Viertel, Protestierende setzten Reifen in Brand, schütteten Gülle auf die Straße und beschossen Polizisten mit Pyrotechnik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen