Mehr Ruhe auf Berlins Partymeilen: Gute Mime zum schlechten Spiel
Aktion in Friedrichshain-Kreuzberg: Pantomimekünstler sollen in diesem Sommer Feiernde dazu anhalten, keinen Krach zu machen.
Es ist ein übliches Bild auf der Kneipenmeile Simon-Dach-Straße in Friedrichshain. Gegen halb zwölf nachts ziehen kleine Gruppen von meist ziemlich angetrunkenen Spätjugendlichen und tun, was sie nicht lassen können: grölen, ein bisschen pöbeln, schief, aber laut singen und nebenbei in Hauseingänge urinieren, wie das so dezent heißt. Bald ist es damit vorbei: Denn sobald es zu laut, stinkig oder prollig wird, tauchen wie aus dem Nichts einige Pantomimen auf. Die können zwar nicht in Sozialarbeitermanier mit den Krakeelern reden, sorgen aber trotzdem für dezenteres Auftreten. Ein Traum?
Nicht, wenn es nach dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Clubkommission, der Vertretung vieler Partyorte, geht. Am Donnerstag stellten sie und der für die öffentliche Ordnung zuständige Stadtrat Peter Beckers (SPD) die Studie „Stadtverträglicher Tourismus – internationale Erfahrungen im Vergleich mit Berlin und Best Practice in Friedrichshain-Kreuzberg“ vor. Sie hat untersucht, wie in verschiedenen Städten mit der Lärmproblematik auf Partymeilen und in Kneipenvierteln umgegangen wird. Einer ihrer Vorschläge: Wie in Barcelona, Paris und Brüssel auch sollen Pantomimekünstler mit einer Performance Feiernde auf das Ruhe- und Sauberkeitsbedürfnis der Anwohner hinweisen. „Wir werden das Problem des Lärms und der Vermüllung nicht sofort lösen können“, betonte Beckers, „aber es ist ein erster Ansatz, gemeinsam mit verschiedenen Beteiligten zu versuchen, einen nachhaltigen und stadtverträglichen Tourismus in Berlin zu etablieren.“ Durch diese Maßnahme soll eine Ausschankbeschränkung im Bezirk vermieden werden.
Müll und Pisse
Die Studie wurde von der Wirtschaftsförderung des Bezirks in Auftrag gegeben. Sie greift ein Problem auf, welches nicht nur in Friedrichshain-Kreuzberg schon länger existiert. Anwohner fühlen sich immer wieder von lautstarken und angetrunkenen Partygästen gestört. Auch der Müll und die verunstalteten Hauseingänge hatten in der Vergangenheit zu Ärger unter Anwohnern geführt, die ihrem Ärger medienwirksam Luft gemacht hatten. Unterstützung erhielten sie am Donnerstag von Burkhard Kieker, Geschäftsführer der Tourismusgesellschaft visitBerlin. In einem „touristischen Epizentrum“, wie Kieker Friedrichshain-Kreuzberg nannte, „können wir Auswüchse nicht gebrauchen“.
Die Studie soll zeigen, wie man Touristen und Besucher aus anderen Teilen der Stadt und des Umlands zu einem anwohnerverträglichen Verhalten bewegen kann. Dazu wurden 37 Maßnahmen in 21 europäischen Städten mit ähnlichen Problemen – darunter London, Amsterdam, Paris, Rom, Zürich, Prag und Köln – verglichen. Schwerpunktmäßig handelte es sich um Maßnahmen gegen nächtliche Ruhestörung und für den Dialog zwischen Anwohnern und Gästen. In einigen Orten wurden dafür zum Beispiel Künstler und Mediatoren eingesetzt, in anderen das Barpersonal besonders geschult, in wieder anderen Informationstafeln aufgestellt und Werbekampagnen organisiert. „Plakatkampagnen haben zwar einen hohen Wiedererkennungswert, aber allein zu wenig Strahlkraft“, sagte Malena Medam von der Clubkommission und Leiterin des Projekts. „Sie können lediglich Begleitmaßnahme in einem strategischen Maßnahmenbündel sein.“
Als die erfolgversprechendste Maßnahme zur positiven Ansprache der Nachtschwärmer nennt die Studie den Einsatz von Pantomimekünstlern in Kombination mit Mediatoren. Dies soll rasch umgesetzt werden, so Stadtrat Beckers. Während eines Pilotprojekts vom 8. Mai bis 11. Juli treten Schauspieler an 15 Abenden in ausgewählten Kiezen auf. Alle hätten Erfahrung mit Straßentheater. Im Unterschied zu den Pantomimekünstlern in Paris, Barcelona und Brüssel, wo die Maßnahme bereits erfolgreich läuft, sollen die Schauspieler in Berlin „weniger traditionell und dafür hipper“ sein und damit „das besondere Lebensgefühl der Stadt vermitteln“, betonte Medam.
Mediatoren mit Flyern
Die Künstler würden laut Medam ab 22 Uhr starten, auf abgesteckten Routen eine Performance darbieten und erst danach, falls notwendig, in Interaktion mit lärmenden Partygästen treten. Anschließend sollen Mediatoren mit Flyern auf die generell angespannte Situation im Bezirk aufmerksam machen und wenn nötig deeskalieren. Malena Medam sprach von einer Maßnahme, die „nicht restriktiv, sondern kreativ und dialogorientiert“ sei, Burkhard Kieker von einem „Denkanstoß und Schritt in die richtige Richtung“. Insgesamt kostet das Projekt samt Studie gut 50.000 Euro.
Stadtrat Beckers betonte, dass mit der Maßnahme nicht nur Touristen angesprochen seien. 60 Prozent der Partygäste seien Besucher aus anderen Bezirken wie beispielsweise Spandau oder Orten wie Königs Wusterhausen. Man dürfe daher nicht den Fehler begehen, die Schuld allein auf Touristen abzuwälzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja