Mehr Geld für Gewerkschaftler: Prinzip Kaninchenzüchter
Gewerkschaftsmitglieder sollen mehr Lohn erhalten als Nichtmitglieder, schlägt die CDU vor. Klingt einleuchtend, doch in der Praxis führt solche Vereinsmeierei zu Problemen.
Auf Anhieb klingt es völlig logisch: Wer zahlt, wird belohnt. Nur der organisierte Fußballer darf auf dem Rasenplatz trainieren, schließlich überweist er monatlich Mitgliedsbeiträge - unorganisierte Hobbykicker müssen im Park spielen. Ähnlich läuft es im Kegelverein, bei Kaninchenzüchtern oder anderswo. Kegelbahn und Vereinsheim bleiben Mitgliedern vorbehalten, schließlich ist es das konstituierende Element deutscher Vereinsmeierei, Exklusivität zu schaffen.
Der DGB hat die Idee, Gewerkschaftsmitglieder in Tarifverträgen zu bevorzugen, begrüßt. "Eine solche Regelung ist bedenkenswert", sagte Sprecherin Claudia Falk am Mittwoch. "Schließlich bietet auch jeder Verein seinen Mitgliedern bestimmte Vorteile." Der Vorschlag stammt von der CDU-Fraktion in Nordrhein-Westfalen. Nach einem Bericht der FAZ regen die Abgeordneten in einem Papier an, über "moderate tarifvertragliche Differenzierungsklauseln" nachzudenken, "mit denen bestimmte tarifvertragliche Leistungen den Mitgliedern des Tarifpartners vorbehalten bleiben". Die IG Metall hat eine solche Bevorzugung in Nordrhein-Westfalen in 60 Betrieben durchgesetzt. Die Regelungen würden jedoch wegen juristischer Bedenken nicht flächendeckend angewendet, so ein Sprecher.
Es ist der Verdienst der nordrhein-westfälischen CDU, dieses altbekannte Prinzip ganz neu zu denken: Die Truppe von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers möchte das System Kaninchenzüchter gleich auf die ganze deutsche Tarifautonomie übertragen. Ihre zunächst einleuchtende Idee: Mitglieder einer Gewerkschaft bekommen mehr Lohn als die Beschäftigten, die sich den Gewerkschaftsbeitrag lieber sparen.
Mit diesem Gedanken sympathisieren Gewerkschaften seit Jahren, was angesichts des grassierenden Mitgliederschwunds verständlich ist. Ver.di-Chef Frank Bsirske fragte schon 2004: "Was liegt näher, als bestimmte Ergebnisse bei Verhandlungen auf die zu beschränken, die dazu beitragen, dass die Ergebnisse möglich sind?"
Schließlich werden bei Tarifabschlüssen die Nichtgewerkschafter in der Regel zu Trittbrettfahrern. Sie profitieren doppelt, indem sie den Beitrag sparen, aber von den ausgehandelten Gehaltsaufschlägen profitieren. Schon klar: Man kann diese Tatsache als Absurdität eines Systems geißeln, das auf Solidarität setzt - so, wie es jetzt die CDU indirekt tut.
Denn wer in eine Gewerkschaft eintritt, erhofft sich nicht nur persönliche Vorteile, wie ein Plus auf dem Gehaltszettel oder eine Rechtsschutzversicherung. Der Mitgliedsbeitrag ist handfester Ausdruck politischen Engagements. Jedes Ver.di- oder IG-Metall-Mitglied sorgt dafür, dass Interessen der Arbeitnehmer in öffentlichen Debatten stark vertreten werden. Da ist es doch unfair, dass das die Unsolidarischen ausnutzen?
Wie so oft bei einfachen Fragen sind die Antworten nicht ganz so einfach, wie es zunächst scheint. Zunächst muss misstrauisch machen, dass sich ausgerechnet die CDU für das Wohl der Gewerkschaften stark macht: Anderswo setzt sie sich für von Firmen gesponsorten Scheingewerkschaften ein. Oder sie bekämpft Mindestlöhne mit dem Argument der ja so schützenswerten Tarifautonomie, obwohl diese faktisch oft kaum noch existiert - weil die Gewerkschaften zu schwach sind.
Und selbst wenn hinter dem Vorstoß mehr steckt als ein billiger Profilierungsversuch des selbst ernannten Arbeiterführers Rüttgers: In der Realität ist die Idee bisher gescheitert. Nur die IG Metall setzt das Prinzip "Mehr für Mitglieder" in 60 Betrieben in Nordrhein-Westfalen um, alle anderen Gewerkschaften zucken vor juristischen Problemen zurück. Denn es wirft grundsätzliche Fragen auf: Nötigt man mit dem ökonomischen Druck Nichtmitglieder? Darf eine Koalition Abschläge für Beschäftigte beschließen, die dieser Koalition gar nicht angehören? Oder andersherum: Dürfen dann auch die Nichtmitglieder Koalitionen bilden und ihrerseits Verträge abschließen?
Jenseits so komplizierter Erwägungen gibt es für Gewerkschaften ein pädagogisches Argument für den Verzicht auf die Knute, und nichts anderes wäre eine Gehaltsstaffelung. Wenn ein Kind partout nicht hören will, bringt Liebesentzug wenig. Besser ist, den Nachwuchs mit guten Ideen zu locken und zu überzeugen. Eben jenes gilt für Beschäftigte, die überlegen, in eine Gewerkschaft einzutreten - auch wenn die erwachsen sind.
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