Medwedjews neuer Russland-Kurs: Zauberwort Modernisierung
Präsident Medwedjew verordnet Russland einen Erneuerungskurs - ein regelrechter Spagat. Denn die Fäden zieht immer noch Regierungschef Wladimir Putin.
Russlands Präsident Dmitri Medwedjew gibt sich redliche Mühe. Seit drei Monaten ist der Kremlchef mit einer aufrüttelnden Botschaft unterwegs. Modernisierung lautet das neue Mantra. Die neue ist jedoch keine frohe Botschaft: Ohne Neuerungskurs muss sich Moskau von Großmachtambitionen verabschieden. Mit der Abhängigkeit vom Rohstoffexport ist kein großer Staat mehr zu machen.
Auch auf dem Parteitag der Kremlpartei Vereinigtes Russland (VR) im November las der Kremlchef 4.000 Funktionären und Amtsinhabern die Leviten, ohne deren Mitwirken das Vorhaben nicht umzusetzen ist. Die politische Kaste zählt zu den innovationsfernen Kräften, der am Erhalt des Status quo gelegen ist.
Die Appelle zum Wandel nahm die herrschende Klasse gelangweilt auf. Anstand gebot, verhalten zu applaudieren. Auch Wladimir Putin, Premier und parteiloser Parteichef, war zugegen. Seit Medwedjew im September mit dem Beitrag "Vorwärts, Russland" zum Aufbruch gemahnte und ein verheerendes Bild des Landes zeichnete, häufen sich Vermutungen, Präsident und Premier zögen nicht mehr am selben Strang. Hier strampelt der gebremste Modernisierer, dort sitzt der gepriesene Konservator Putin. Wer wollte, konnte aus der Diagnose Kritik an Putins Herrschaft ablesen.
Im Amt hielt sich Medwedjew gleichwohl treu an die Vorgaben des Mentors und maßgeblichen Antimodernisierers des vergangenen Jahrzehnts. Nach außen demonstrierte das Tandem Geschlossenheit. Medwedjew schlug in seiner Rede den allgemeinen Bogen. Putin ging ins Detail. Von der Notwendigkeit zur Innovation sei auch er überzeugt, und Modernisierung Bestandteil des "Plans Putin" gewesen, den er der Nation vor zwei Jahren präsentierte, meinte Putin und zählte auf: getätigte und noch zu tätigende Investitionen. Der Macher bin ich, signalisierte er, diese Botschaft verfing.
Den Bürokraten fiel ein Stein vom Herzen. Der Premier gelobte, alles bleibe beim Alten. Was die Delegierten endgültig erlöste, war die Vergewisserung, auch über die Finanzen entscheide der Premier. Die Klientel, der er seine Macht verdankt, muss sich keine Sorgen machen: 2012 will Putin wieder in den Kreml einziehen. Früher führte die VR die Verheißung "souveräne Demokratie" auf dem Banner, jetzt lautet die Formel "Modernisierung".
Ein Wortspiel, nicht mehr, dachten die Delegierten. Boris Gryslows Beitrag gab ihnen recht. Unbeholfen jonglierte der Vizeparteichef mit der neuen Losung. Modernisierung sei "russischer Konservatismus" sagte er, bis er das von nun an gültige Mantra aus dem Ärmel zog: "Konservative Modernisierung".
Hinter der Wortschöpfung versteckt sich die Besonderheit russischer Modernisierungsschübe. Der Staat erkennt den technologischen Rückstand, der Großmachtstatus und herrschende Elite bedroht. Im Interesse des Machterhalts muss sie für Erneuerung sorgen. Dazu bedarf es neuer Technologien aus dem Westen. Im Gegensatz zu westlichen Gesellschaften beschränkt sich russische Modernisierung auf die technisch-instrumentelle Seite. Gesellschaft und Herrschaftsstrukturen werden vom Wandel ausgenommen, da Innovation den Status quo zementieren und alte Machtverhältnisse konsolidieren soll.
Bislang war der Westen bereit, den Eliten dabei zu helfen. Nicht zufällig präsentiert sich Moskaus Außenpolitik versöhnlicher, um Hürden des Technologietransfers abzubauen. Der Chefideologe des Kremls, Wladislaw Surkow, macht kein Hehl daraus: "Je mehr Geld, Wissen und Technik wir von den entwickelten Ländern erhalten, desto stärker wird unsere souveräne Demokratie."
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