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Meduza-Auswahl 4. – 10. JuliZurückgelassen auf dem Schlachtfeld

Der Sanitätsdienst des russischen Militärs funktioniert kaum. Verletzte sterben unnötigerweise. Texte aus dem Exil.

Zurückgelassener Soldat in der Ostukraine im Oktober 2022 Foto: Ashley Chan/dpa

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

In der Woche vom 4. bis zum 10. Juli 2024 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:

Sechs Jahre Haft für ein Theaterstück

Ein Moskauer Gericht hat am Montag die Theaterregisseurin Schenja Berkowitsch und die Dramatikerin Swetlana Petrijtschuk wegen „Rechtfertigung von Terrorismus“ zu jeweils sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Damit haben die Richter dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben.

Angeklagt wurden die beiden Künstlerinnen wegen Berkowitschs preisgekrönter Inszenierung von Petrijtschuks Stück „Finist the Bright Falcon“. Es behandelt die Erfahrungen hunderter russischer Frauen, die in den 2010er Jahren nach Syrien zogen, um sich der Terrormiliz Islamischer Staat anzuschließen.

Meduza beschreibt den Prozess (englischer Text): Vom Staat vorgeladene „Sachverständige“ sagten darin aus, dass das Stück „Anzeichen einer radikalen feministischen Ideologie“ enthalte, „das Bild eines Terroristen romantisiert und unter anderem russische Männer diskriminiert“.

Berkowitsch und Petrijtschuk wurden im Mai 2023 verhaftet und befinden sich seitdem in Untersuchungshaft.

Für verletzte russische Soldaten kommt die Rettung zu spät

Einige schwer verletzte russische Soldaten, die noch hätten gerettet werden können, starben auf dem Schlachtfeld, ohne jemals medizinisch versorgt zu werden. Das berichtet das unabhängige Magazin Verstka. Selbst Ärzte des russischen Verteidigungsministeriums räumen ein, dass die medizinische Versorgung der Armee schlecht organisiert ist. So werden „potenziell rettungsfähige“ Soldaten nicht rechtzeitig evakuiert und andere zurück an die Front geschickt, selbst wenn ihre Behandlung nicht erfolgreich ist. Meduza veröffentlicht eine gekürzte Übersetzung des Verstka-Berichts (englischer Text).

Nach modernen militärmedizinischen Standards sollte ein verletzter Soldat innerhalb von ein bis zwei Stunden nach seiner Verwundung eine angemessene medizinische Versorgung erhalten. In einem Bericht russischer Militärärzte heißt es jedoch, dass zwischen Herbst 2022 und Frühjahr 2023 die durchschnittliche Zeit für die Evakuierung schwer verwundeter Soldaten aus dem Kampfgebiet in der Ukraine 3,5 Stunden betrug.

Die Ärzte stellen außerdem fest, dass sich die Art der Verletzungen von Militärangehörigen in den letzten 40 Jahren verändert hat. Soldaten, die an der Invasion in der Ukraine teilgenommen haben, erleiden 2,5-mal seltener Kopfverletzungen als russische Soldaten in Tschetschenien, haben aber doppelt so häufig Arm- und Beinverletzungen. Im Vergleich zu den sowjetischen Soldaten in Afghanistan erleiden russische Soldaten in der Ukraine häufiger Verletzungen an den Gliedmaßen, während Verletzungen an Bauch und Brust seltener geworden sind.

Über 120.000 russische Soldaten in der Ukraine gefallen

Mediazona und BBC News Russian berichten in einer jüngst aktualisierten Aufstellung, dass mindestens 56.585 russische Soldaten bei Kämpfen in der Ukraine gefallen sind. Diese Liste enthält jedoch nur Soldaten, deren Tod durch offene Quellen wie Nachrufe individuell bestätigt werden konnte. In einem früheren Bericht hatten Meduza und Mediazona die Verluste Russlands anhand von Nachlassdaten geschätzt und dabei bis Ende 2023 mindestens 75.000 getötete Soldaten gezählt.

Den neuesten Berechnungen von Meduza zufolge sind bis Ende Juni 2024 mindestens 120.000 russische Soldaten im Krieg gefallen (englischer Text).

Wie das russische Kino den Putinismus fördert

Im Juli wird der Meduza-Verlag das Buch des bekannten russischen Filmkritikers Anton Dolin „Bad Russians“ veröffentlichen (russischer Text). Dolin untersucht, wie das kommerzielle russische Kino der letzten 25 Jahre dazu beigetragen hat, die Ideologie des Putinismus im öffentlichen Bewusstsein zu formen und zu festigen. Er erklärt, welche Werte das populäre russische Kino vermittelt, welche Mythen und „Heftklammern“ es schafft – und wie es die Russinnen und Russen lehrt, den Präsidenten zu lieben.

In „Bad Russians“ beschreibt Dolin auch den Kontext, in dem ein bestimmter Film erschienen ist, berichtet über die Strategien der Produzenten sowie über die Nachfrage der Behörden nach einem bestimmten Filmprodukt. Und er beobachtet die Erwartungen des Publikums – und vor allem, wie populäre Filme zu einem Propagandainstrument werden.

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