Meduza-Auswahl 30. Jan. – 5. Feb. 2025: Russland macht Jagd auf Trans-Menschen
Die russischen Behörden suchen nach medizinischen Akten von Trans-Personen, um sie in Staatsdatenbanken zu überführen. Doch manche Kliniken haben vorgesorgt.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Zeit vom 30. Januar bis 5. Februar 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Wer psychisch krank ist, muss trotzdem dienen
Sich der Einberufung zum Militär in Russland zu entziehen wird demnächst noch schwieriger: Das Verteidigungsministerium soll die medizinischen Vorschriften für das Militär verändern und die Liste der Gesundheitszustände, die eine Befreiung von der Wehrpflicht ermöglichen, einschränken. Nach diesen neuen Vorschriften würden selbst schwere psychische Störungen Rekruten nicht mehr disqualifizieren, berichtet Meduza auf Englisch.
Nach Angaben der „Bewegung für Kriegsdienstverweigerung Russland“ bereitet das Ministerium eine umfassende Überarbeitung des Verzeichnisses der Konditionen, die eine Person vom Militärdienst ausschließen, vor. Diese Liste wird von den Einberufungsbehörden verwendet, um die Diensttauglichkeit eines Anwärters festzustellen.
Auch Vertragssoldaten und bereits mobilisiertes Personal mit mittelschweren, vorübergehenden endogenen Psychosen sowie „schweren neurotischen Störungen“ im Zusammenhang mit Stress, somatischen Symptomen und Stimmungsschwankungen werden nun in die Kategorie C statt E eingestuft. Das bedeutet, dass sie in den Reihen der russischen Armee verbleiben.
Auch bei körperlichen Gebrechen gibt es Änderungen: So muss nun etwa bei chronischer Nesselsucht muss eine fehlende Wirksamkeit der Behandlung über einen Zeitraum von vier Wochen nachgewiesen werden.
Neue Einschulungsregeln für Kinder in Russland
Am 11. Dezember 2024 verabschiedete die russische Staatsduma in dritter Lesung ein Gesetz, das Kinder von Migrant:innen die Einschulung verwehrt – sofern sie nicht vorher einen Test über die russischen Sprachkenntnisse bestehen. Das Gesetz tritt am 1. April 2025 in Kraft, die neuen Regeln gelten dann für das im September beginnende Schuljahr 2025-2026, berichtet Meduza auf Englisch.
Kinder, die den Test nicht bestehen, werden nicht zum Schulbesuch zugelassen. Die Prüfung soll kostenlos sein, das russische Bildungsministerium die Testverfahren festlegen. Schulen müssen im Rahmen des Zulassungsverfahrens außerdem überprüfen, ob sich ein Kind legal in Russland aufhält. Kinder, deren Eltern sich illegal im Land aufhalten, wird die Einschreibung verweigert.
Das russische Bildungsministerium hat außerdem vorgeschlagen, Eltern von haftbar zu machen, wenn Kinder nach dem Nichtbestehen des Tests keine zusätzlichen Russischkurse belegen. Der Verordnungsentwurf sagt: Kinder, die die Prüfung nicht bestehen, müssen ein dreimonatiges Förderprogramm auf Kosten ihrer Eltern absolvieren. Wenn ein Kind nicht innerhalb eines Monats an einem solchen Programm teilnimmt, können die Kinderschutzbehörden die Lebensbedingungen der Familie überprüfen und die Strafverfolgungsbehörden benachrichtigen.
Genauen Daten über die Zahl der Kinder von Migrant:innen in seinen Schulen gibt es in Russland nicht. Zahlen des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2023 zeigen jedoch, dass 178.000 Schüler mit ausländischer oder ohne Staatsangehörigkeit eingeschrieben waren. Fast die Hälfte von ihnen besuchte die Grundschule, 39 Prozent die Klassen 5 bis 8 und 11 Prozent die Klassen 9 bis 11.
Auch Kinder wissen von der Front
Der Krieg in der Ukraine, den Russland vor drei Jahren ausgelöst hat, findet nicht nur an der Front statt. In Russland sind auch Schüler:innen immer mehr der Kriegspropaganda ausgesetzt. Schulkinder werden zu Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem „Großen Vaterländischen Krieg“ geschickt, Hochschulstudent:innen stellen Lageröfen her und weben Tarnnetze für die Kämpfer der sogenanten „militärischen Sonderoperation“.
Auch in der Ukraine ist der Krieg ist der Krieg in den Schulen präsent: Schüler:innen in Kyjiwer Schulen werden Drohnen und moderne Waffen gezeigt. Kinder von Kämpfern der ukrainischen Streitkräfte, die von Russland gefangen genommen wurden, nehmen an Aktionen teil, um ihre Angehörigen nach Hause zu holen.
Ihre Geschichten hat Meduza fotografisch festgehalten. Die Bilder zeigen, wie Schüler:innen Tarnnetze für russische Militäreinheiten herstellen oder Schüler:innen beim Besuch des Siegesmuseums in Moskau (russischer Text).
Wie Russland gegen Trans-Menschen vorgeht
Im Rahmen der russischen Anti-Queer-Kampagne hat die Polizei jahrelang Razzien in Nachtclubs, auf privaten Partys und in medizinischen Einrichtungen durchgeführt. Das geht schon lange so: Seit November 2023, als der Oberste Gerichtshof Russlands die nicht existierende „internationale soziale LGBT-Bewegung“ als „extremistische Organisation“ einstufte.
Und nun könnte der Terror noch wachsen, berichtet Meduza auf Englisch.
Eines Tages im Jahr 2019 klappte Yael Demedetskaya ihren Laptop auf – und sah online, wie ein ehemaliger Kollege Stapel von medizinischen Unterlagen aus der Klinik in Moskau, in der sie einmal gearbeitet hatte, in Brand setzte. Mit Feuerzeugbenzin übergossen, verbrannten mehr als 6.000 Akten. Demedetskaya, die in den Vereinigten Staaten im Exil lebt, hatte die Vernichtung der Akten veranlasst: Um Transgender-Patienten vor dem immer härteren Vorgehen Russlands gegen die LGBTQ+-Gemeinschaft zu schützen. Der russische Staat macht Jagd auf die Krankenakten von Transgender-Personen, um staatliche Datenbanken zu füllen.
Mehr als ein Jahrzehnt zuvor gründeten Demedetskaya und ihr Mann die Transgender Foundation und später eine Klinik, um Menschen bei der Geschlechtsumwandlung medizinisch zu unterstützen. Die Demedetskys flohen aus Russland und beantragten 2017 Asyl in den Vereinigten Staaten, nachdem sie von der Polizei bedroht und von einer Gruppe von Männern gewaltsam angegriffen worden waren. Die Arbeit ihrer Gruppe endete mit dem Verbot von Geschlechtsumwandlungen in Russland. Und die Stiftung wurde als „nationale Sicherheitsbedrohung“ eingestuft.
Demedetskaya erklärte gegenüber Meduza, dass ihre Klinik absichtlich auf die Digitalisierung ihrer Aufzeichnungen verzichtete – für den Fall, dass diese vernichtet werden müssten, um die Identität der Patienten vor den Behörden zu verbergen.
Andere Einrichtungen waren nicht so gut vorbereitet. Demedetskayas Freund, ein Gynäkologe, erzählt: Die Polizei habe im Dezember 2023 in einer anderen Klinik „herumgeschnüffelt“. Als der Beamte, der für die Durchsuchung der Akten von Trans-Patienten zuständig war, erst nichts finden konnte, beschlagnahmten die Behörden einfach den gesamten Computer des Büros – mit Kabeln und Monitor. Nach diesem Vorfall stellte die Klinik die chirurgische Hilfe für Transgender-Personen ein.
Sieben Quellen, die mit Meduza sprachen, darunter Menschenrechtsaktivisten aus dem ganzen Land, berichteten von Polizeirazzien in medizinischen Einrichtungen und bei einzelnen Ärzten, die Transgender-Personen geholfen haben. Die Beamten suchen nach Aufzeichnungen über die zuvor ausgestellten Sonderbescheinigungen, die es Menschen erlaubten, ihre Geschlechtskennzeichnung in offiziellen Dokumenten zu ändern. Bevor Russland Geschlechtsumwandlungen verbot, hatten medizinische Kommissionen Formulare mit Transsexualismus“-Diagnosen ausgestellt, die die Änderungen von Geburtsurkunden und anderen Dokumenten erlaubten.
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