Meduza-Auswahl 2.-8. Januar 2025: „Das Schwierigste ist, Empathie zu bewahren“
Viele Journalist*innen haben Russland in jüngerer Vergangenheit verlassen. Doch manche sind geblieben – und erzählen Meduza, wie sie weitermachen.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Zeit vom 2. bis 8. Januar 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Harte Linie gegen alle Dissidenten – auch Mediziner
Russland kämpft mit einem gravierenden Ärztemangel. Doch das hält die Behörden nicht davon ab, oppositionelle Mediziner ins Visier zu nehmen. Im Jahr 2024 begann der Kreml, gegen Ärzte vorzugehen, die auch nur im Entferntesten von seiner Linie abweichen. Novaya Gazeta Europe porträtiert einige der Mediziner*innen, die im letzten Jahr ins Fadenkreuz des Kremls gerieten. Meduza übersetzt den Text ins Englische.
Am 12. November 2024 verurteilte ein Moskauer Gericht etwa die Kinderärztin Nadezhda Buyanova zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis – weil sie angeblich „Desinformationen“ über das russische Militär verbreitet hatte.
Russische Ärzte veröffentlichten einen offenen Brief zur Unterstützung Buyanovas, und eine Petition auf Change.org, in der ihre Freilassung gefordert wurde. Sie erhielt Tausende von Unterschriften. Nach ihrer Verurteilung sprachen sich einige Ärzte erneut gegen die ihrer Meinung nach ungerechte Verfolgung Buyanovas aus und drehten einen Videoappell an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: „Wir fordern die Freilassung dieser Kinderärztin, damit sie weiterhin Kinder behandeln kann“.
Ein anderes Beispiel ist der russische Kinderarzt Sergej Butrij: In einem Interview mit der Journalistin Katerina Gordeeva im März 2023 sagte er: „Versetzen Sie ein beliebiges europäisches Volk in die Lage, in der wir uns befinden – mit dieser Regierung, mit Repressionen, mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Und sie würden wohl genauso handeln.“
Etwa ein Jahr später, am 22. Februar 2024, wurde Butriy verhaftet und wegen „Aufstachelung zu Hass und Feindschaft“ angeklagt. Den Ermittlern zufolge richteten sich Butriys Äußerungen in dem Interview „gegen Ärzte, die die Werte der russischen Gesellschaft teilen“. Nach zehn Tagen im Gefängnis wurde er wieder freigelassen, Butriy verließ daraufhin Russland. Er lebt jetzt in Georgien – wo er Patienten in einer örtlichen russischsprachigen Klinik behandelt.
Aus fürs Gas. Und nun?
Nachdem mehr als vier Jahrzehnte lang ununterbrochen russisches Gas durch die Ukraine nach Europa geflossen war, wurden am 1. Januar 2025 die Hähne zugedreht. Nicht einmal die russische Invasion in die Ukraine im Jahr 2022 hatte den Fluss unterbrochen. Nun gelang es den beiden Seiten nicht, ein neues Transitabkommen zu schließen. Meduza erklärt, welche Verluste für Russland, die Ukraine und Europa mit der Unterbrechung des Transits einhergehen. Und welche möglichen Alternativen zu russischem Gas es gibt, und wie sich die neue Situation auf die Energiepreise auswirken könnte (englischer Text).
Bloomberg schätzt, dass Gazprom durch den Stopp des Gastransits jährliche Exporteinnahmen in Höhe von etwa 6 Milliarden US-Dollar verlieren wird. Sergey Vakulenko, ein Senior Fellow am Carnegie Russia Eurasia Center, schätzt die jährlichen Verluste etwas niedriger ein und geht von 5 Milliarden aus. Auch die Ukraine wird auf Hunderte Millionen Dollar an Einnahmen verzichten müssen.
Den Prognosen von Bloomberg zufolge könnte die Entscheidung der Ukraine, den Transit von russischem Pipelinegas zu stoppen, zu einem größeren Anteil von russischem Flüssigerdgas (LNG) auf dem europäischen Markt führen. Obwohl einige Politiker für einen Boykott aller russischen Energieressourcen eintreten, sind die Importe russischen LNGs auf Rekordniveau.
Vieles wird von der Politik des designierten US-Präsidenten Donald Trump abhängen, der entweder die Sanktionen gegen Russland im Gegenzug für ein Friedensabkommen lockern könnte – oder sie verschärfen, wenn der Kreml sich weigert, in der Ukraine zu deeskalieren. Unabhängig von diesen Faktoren erwarten Analysten, dass die Gaspreise im Jahr 2025 weiter steigen werden.
Warum starb ein angeblicher LGBTQ+-Unternehmer in Haft?
Ein russischer Geschäftsmann, der beschuldigt wurde, ein Reisebüro für LGBTQ+-Touristen zu betreiben, verstarb wenige Tage vor Neujahr in einem Moskauer Gefängnis. Andrej Kotows Verhaftung war nur ein Fall in Russlands verstärktem Vorgehens gegen queere Menschen. Die genauen Umstände seines Todes bleiben bisher unklar. Während erste Berichte von einem Selbstmord ausgingen, zweifeln Menschenrechtsaktivisten und Freunde diese Darstellung an. Sie sagen: Kotov sei entweder zu Tode gefoltert oder von den Behörden vorsätzlich getötet worden. Meduza berichtet auf Englisch.
Kotov wurde am 30. November verhaftet und wegen Organisation und Beteiligung an einer „extremistischen Organisation“ angeklagt. Die Ermittler behaupteten, dass sein Reiseklub Men Travel Reisen organisierte, die „LGBT-Propaganda“ beinhalteten. Kotov wies die Vorwürfe zurück und erklärte, sein Unternehmen konzentriere sich ausschließlich auf den Tourismus.
Kotov wurde nach seiner Verhaftung beinahe sofort in Einzelhaft verlegt. Berichten zufolge weigerte sich die Haftanstalt, Pakete mit seinen täglichen Medikamenten anzunehmen. Eine Woche vor seinem Tod sollen die Ermittler zusätzliche Anschuldigungen gegen Kotov erhoben haben – indem sie ihn der Herstellung von Kinderpornografie beschuldigten. Zuvor hatte Kotov erklärt, dass er während seiner Festnahme mit Elektroschocks gefoltert worden sei.
Warum Journalist*innen weiter in Russland arbeiten
Es war schon vor dem Krieg nicht einfach, die unbequemen, die weniger schönen Aspekte des Lebens in Russland zu dokumentieren. Und in den letzten drei Jahren ist das noch gefährlicher geworden. Trotz der hohen Risiken geben einige Fotojournalisten nicht auf – sie wissen, dass ihre Arbeit nun besonders wichtig ist. Meduza hat mir einigen Fotograf:innen gesprochen, die weiterhin in Russland arbeiten (russischer Text).
Eine von ihnen ist Alisa. Sie erzählt: „Ich habe Russland nach Kriegsbeginn nicht verlassen, weil es für mich wichtig ist, mitzuerleben, was an dem Ort geschieht, an dem ich die meiste Zeit meines Lebens verbracht habe. Zu sehen, was mit den Menschen geschieht, wie sich die Atmosphäre verändert. Das Schwierigste ist, Empathie zu bewahren und sich selbst als Person zu erhalten. Man muss sich immer wieder mit der Realität auseinandersetzen, auch wenn sie unangenehm und unverständlich ist und viele komplizierte Gefühle auslöst. Bei meiner Arbeit sehe ich, wie müde die Menschen vom Krieg sind – er begeistert niemanden mehr. In den Regionen sind die Auswirkungen des Konflikts stärker zu spüren: Viele Menschen haben Ehemänner oder Söhne im Krieg, manche haben jemanden verloren. In den Dörfern ist es einer nach dem anderen. Ich habe viele Menschen in den Regionen getroffen, die sowohl das Regime unterstützen als auch wollen, dass der Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Das ist das Merkwürdige. Sie glauben an Krieg für Frieden und glauben, dass Putin alles beenden wird – das ist die Logik.“
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