Mediziner über Mücken: „Für das Ökosystem unverzichtbar“

Von Haus- bis Tigermücke – die Blutsauger befinden sich für dieses Jahr im Endspurt. Und übertragen immer mehr Krankheiten, sagt Mediziner Jonas Schmidt-Chanasit.

Mücken unter Mikroskop

Asiatische Tigermücken im ZALF in Müncheberg Foto: Erik Irmer

taz: Herr Schmidt-Chanasit, wie lange haben Stechmücken noch Saison?

Jonas Schmidt-Chanasit: Das hängt von den Außentemperaturen ab, aber meist bis Mitte Oktober. Denn so lange legen Stechmückenweibchen ihre Eier ab. Für deren Produktion benötigen sie bestimmte Eiweiße, die sie nicht selbst produzieren können. Da sich diese Eiweiße im Blut vieler Lebewesen befinden, stechen die weiblichen Mücken zu. Und zwar so lange, bis männliche Mücken im Herbst aussterben und eine Befruchtung nicht mehr stattfinden kann. Weibchen schwärmen dann verstärkt in Innenräume, um einen Ort zum Überwintern zu finden. Sie stechen dann aber nicht mehr.

Können heimische Stechmücken Krankheiten übertragen?

Der Humanmediziner leitet eine Abteilung am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, die sich mit der Erforschung von neu auftretenden Viren beschäftigt, welche unter anderem durch Stechmücken und Zecken übertragen werden.

Leider ja. Das ist etwas, das sich in Deutschland grundsätzlich verändert hat. Während ein Mückenstich früher meist harmlos ausging, zirkuliert seit 2018 in Ostdeutschland zum Beispiel das West-Nil-Virus, das von der heimischen Hausmücke vor allem im Spätsommer übertragen wird. Das West-Nil-Virus gelangte ursprünglich durch Zugvögel oder infizierte Stechmücken aus Afrika nach Europa und ist hier heimisch geworden. Wenn hier nun eine Stechmücke zuerst einen infizierten Vogel und dann einen Menschen sticht, dann kann eine Übertragung stattfinden. Seit 2019 wurden die ersten menschlichen Infektionen mit dem West-Nil-Virus in Deutschland registriert. Es handelte sich zwar um Einzelfälle, aber da nur etwa ein Fünftel der Betroffenen Symptome zeigt und nur etwa einer von 100 Infizierten schwer erkrankt, ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

Wie macht sich eine West-Nil-Virus-Infektion bemerkbar?

In den allermeisten Fällen zum Glück gar nicht. 20 Prozent der Infizierten entwickeln eine fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung, die drei bis sechs Tage andauert. Bei jedem zweiten von ihnen ist ein Hautausschlag am Körper zu beobachten. In den sehr seltenen schweren Erkrankungsfällen kann es zu einer Gehirnentzündung kommen. Meist heilt das West-Nil-Fieber aber komplikationslos ab.

Wie ist es mit den nicht-heimischen Stechmücken, welche Erkrankungen übertragen sie?

Seit 2007 sind in Deutschland drei invasive Stechmücken-Arten entdeckt worden. Die Asiatische Tigermücke, die Japanische und die Koreanische Buschmücke. Während die zwei zuletzt genannten eher weniger Potential haben, Erreger auf Menschen zu übertragen, stellt die Asiatische Tigermücke tatsächlich ein größeres Risiko dar. Man geht davon aus, dass die Tigermücke mehr als 20 humanpathogene Viren übertragen kann, darunter Dengue-, Chikungunya- und Zika-Viren.

Wo lebt die Tigermücke in Deutschland und was braucht es für eine Übertragung?

Die Tigermücke hat sich von Frankfurt bis nach Freiburg im gesamten Rhein-Gebiet ausgebreitet und ist auch in Berlin nachgewiesen worden. Wenn ein Reiserückkehrer ein exotisches Virus mit nach Deutschland bringt und dann von der Tigermücke gestochen wird, dann kann eine Übertragung auf andere Menschen stattfinden. In Frankreich und Italien hat es solche Fälle schon gegeben. In Deutschland wird es natürlich keine großen Ausbrüche mit tausenden von Infektionen geben, da dafür einfach die heiße Zeit des Sommers zu kurz ist. Aber dass die Tigermücke hierzulande Krankheitserreger übertragen wird, das ist nur eine Frage der Zeit. Ich rechne fest damit, dass sich die Tigermücke in ganz Deutschland ausbreiten wird.

Mückenschutz wird also an Bedeutung gewinnen. Welche Maßnahmen empfehlen Sie?

Erstens lange Kleidung und Mückensprays, welche übrigens auch gegen Zecken wirksam sind. Aber nicht jedes Mückenspray schützt gleich gut. Der wirksamste Inhaltsstoff ist Diethyltoluamid, kurz DEET. Er wirkt über den Geruch abschreckend auf Blutsauger, so dass diese gar nicht erst näherkommen. Ähnlich wirksam sind Icaridin und der pflanzliche Stoff Citriodiol. Zweitens ist es natürlich wichtig zu wissen, dass die Hausmücke während der Dämmerung und in der Nacht zusticht, während die Tigermücke zu jeder Zeit aktiv ist. Tagsüber ist man also vor einer Übertragung des West-Nil-Virus im Regelfall relativ sicher. Drittens muss auch die professionelle Stechmückenbekämpfung in Deutschland intensiviert werden. Denn das Problem wird uns über die nächsten Jahrzehnte begleiten.

Schwellen Stiche der Tigermücke eigentlich stärker an als die der heimischen Hausmücke?

Nein, dafür gibt es keine Hinweise. Es kommt zwar vor, dass Mückenstiche großflächig anschwellen. Das liegt dann aber nicht an der Mückenart, sondern an einer sehr starken Immunantwort auf Eiweiße im Mückenspeichel. Die Gründe für solche Stichreaktionen sind komplex und bisher nicht abschließend geklärt. Diskutiert wird, ob beispielsweise Umweltverunreinigungen eine Rolle spielen. Aus den Tropen ist etwa bekannt, dass, wenn Mücken in Slums brüten, wo es keine geordnete Abfallversorgung gibt, Stichreaktionen heftiger ausfallen. Möglich ist außerdem, dass, wer nur selten gestochen wird, stärker reagiert – mit der Zeit also eine Art Gewöhnung eintritt.

Lässt sich starken Schwellungen vorbeugen?

Ja, das geht gut mit einem Hitzestift, auch Stichheiler genannt. Der Hitzestift erwärmt sich auf 50 Grad und wird dann für wenige Sekunden auf die Einstichstelle gedrückt. Dadurch werden Eiweiße im Mückenspeichel zerstört, bevor das Immunsystem auf den Stich reagiert. Die Anwendung hilft übrigens auch gegen normalen Juckreiz nach einem Mückenstich.

Haben Stechmücken eigentlich auch ihre guten Seiten?

Absolut. Stechmücken sind für das Ökosystem unverzichtbar. Sie ernähren sich von Pflanzensäften und Blütennektar und zählen daher auch zu den Bestäubern, welche sicherstellen, dass die Pflanzenwelt fortbesteht und ihre Vielfalt erhalten bleibt. Außerdem sind Stechmücken eine wichtige Nahrungsquelle für Vögel, Fische und Amphibien. Wenn es darum geht, die Verbreitung von Stechmücken einzudämmen, um Krankheitsausbrüche zu verhindern oder abzumildern, dann müssen die Maßnahmen zielgerichtet, umweltverträglich und nachhaltig sein. Gar keine Stechmücken sind eben auch keine Lösung.

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