Mediensteuer in Polen: Kontrolle nach ungarischem Vorbild
Mit einer zusätzlichen Steuer auf Werbeeinnahmen will die polnische Regierung die Privatmedien unter Druck setzen. Die aber wehren sich.
Viele ältere Polen und Polinnen fühlten sich ans Kriegsrecht erinnert, das General Jaruzelski in der Nacht des 13. Dezembers 1981 über Polen verhängt hatte. „Ich will das nicht mehr!“, ruft entsetzt eine alte Frau vor einem Kiosk im Warschauer Stadtteil Mokotów. Dort hängen in der Auslage fast nur schwarze Titelseiten mit dem Slogan „Medien ohne Wahl“. Einzig die nationalpopulistische Gazeta Polska Codzienne prunkt mit einem geradezu peinlichen Titelblatt: „Der Mann des Jahres ist Jarosław Kaczyński“, der PiS-Parteichef und mächtigste Mann Polens. „Mein Gott!“ Die Frau bekreuzigt sich: „Das Regime ist zurück!“
Ein junger Mann bleibt vor dem Kiosk stehen, starrt abwechselnd auf die Dame und die Titelblätter: „So sieht also Zensur aus“, sagt er, wie zu sich selbst: „Ich konnte mir das nie vorstellen.“
Mit der Protestaktion reagieren 45 unabhängige Medienhäuser auf eine zusätzliche Reklame-Steuer in Höhe von bis zu 15 Prozent, die die PiS als „Solidaritätsbeitrag der Medien“ zum 1. Juli einführen will. Angeblich sollen die Millionen dem Nationalen Gesundheitsfonds zugutekommen, dem Denkmalschutzfonds und einem erst noch zu gründenden Medien-Unterstützungsfonds im Bereich „Kultur und Nationalerbe“.
Kritische Medien fürchten um ihre Existenz
Doch die unabhängigen Privatmedien sehen sich im Mark getroffen. Denn anders als der von der PiS kontrollierte Staatsrundfunk und das katholische Medien-Imperium von Pater Tadeusz Rydzyk erhalten sie keine jährlichen Staatszuschüsse in Höhe von Millionen oder sogar Milliarden Złoty. Sie brauchen die Reklameeinnahmen und fürchten nun um ihre Existenz. Per offenen Protestbrief werfen sie „Regierung, Sejm und Senat sowie den Vorsitzenden der politischen Parteien“ vor, sie mit der neuen Steuer schwächen und zum Teil sogar vernichten zu wollen. Das Vorhaben schränke die Informationsfreiheit der Zuschauer, Hörer, Leser und Internet-User ein und gefährde die Arbeitsplätze von Hunderttausenden Menschen in der Branche.
Laut Premier Mateusz Morawiecki von der PiS soll der „Solidaritätsbeitrag“ vor allem Konzerne wie Facebook, Google, Twitter und Amazon treffen, die in Polen zwar viel Gewinn erwirtschafteten, aber kaum Steuern zahlten. Experten zufolge würden diese Konzerne jedoch höchstens 50 bis 100 Millionen Złoty (zirka 11 bis 22 Millionen Euro) mehr Steuern in Polen bezahlen, wenn überhaupt. Die Hauptlast in Höhe von jährlich rund 800 Millionen Złoty (knapp 180 Millionen Euro) zusätzlicher Steuern entfiele auf die ausschließlich in Polen aktiven Medienunternehmen. Dabei ist deren Wirtschaftslage nach fast einem Jahr Coronalockdown schlecht: Die großen Reklameaufträge brachen fast überall weg, die Auflagen sanken. Gehälter wurden gekürzt, Mitarbeiter entlassen.
Dass jetzt also ausgerechnet die Medien einen „Solidaritätsbeitrag“ fürs Gesundheitssystem, den Denkmalschutz und kleinere Medien leisten sollen, die „Kultur und Nationalerbe“ hochhalten – statt der Wirtschaftszweige, die trotz Krise Gewinne machen –, legt eine politisch gewollte Schwächung der Medien nahe.
Die liberale Gazeta Wyborcza nennt in ihrer Protestausgabe Zahlen, die eine frappierende Ungleichheit offenlegen: 2019 machten die Reklameaufträge der Staatssender TVP 1, TVP Seriale, TVP Sport, TVP Info und TVP 2 jeweils 6 bis 8 Prozent aus, bei den Privatsendern dagegen gerade mal 0,3 Prozent (TVN 24), 0,9 Prozent (TVN) und 2,8 Prozent (PolSat). Zudem nahm TVP umgerechnet 73 Millionen Euro an Abogebühren ein und erhielt von der PiS-Regierung auch noch eine „Entschädigung“ von rund 240 Millionen Euro.
Umverteilung zur PiS-nahen Presse
Noch krasser fällt der Vergleich bei Printmedien aus: 2019 schlugen bei der Gazeta Polska Codziennie – der Zeitung, die am Mittwoch mit dem PiS-Vorsitzenden Kaczyński als „Mann des Jahres“ aufmachte – die Einnahmen aus der Staatskonzerne-Reklamekasse mit knapp 53 Prozent zu Buche. Bei der eher PiS-kritischen Gazeta Wyborcza hingegen machten sie verschwindende 0,27 Prozent aus.
Die vom Staat – über seine Unternehmen – geförderten Medien werden den neuen „Solidaritätsbeitrag“ zum Teil auch bezahlen müssen, doch ist damit zu rechnen, dass dieser durch neue Staatsaufträge kompensiert werden wird. Andere PiS-nahe Zeitungen, so die Befürchtung der 45 protestierenden Medienhäuser, könnten in den Genuss der rund 62 Millionen Euro aus dem neuen „Medien-Unterstützungsfonds im Bereich Kultur und Nationalerbe“ kommen. So müssten die verbliebenen unabhängigen Medien Polens faktisch die PiS-nahen Medien finanziell unterstützen.
2024 gibt es in Polen die nächsten Parlamentswahlen. Bis dahin will die mit absoluter Mehrheit regierende PiS offenbar – nach den letzten noch unabhängigen Gerichten – auch den größten Teil der Privatmedien unter ihre Kontrolle bringen. 2016, wenige Monate nach Regierungsantritt, hatte die PiS den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeschafft und an seiner Stelle die „Nationalen Medien“ gegründet. Inzwischen sind die zahlreichen Programme des Staatsfunks fast durchgängig auf PiS-Parteilinie. Bei den letztem Präsidentschaftswahlen gab es statt einer ausgeglichenen Wahlberichterstattung fast nur PiS-Wahlkampfsendungen für den Kandidaten Andrzej Duda, der am Ende auch die Wahl gewann.
Kaczyński ist überzeugt, dass er „die Medien“ braucht, um auch die nächsten Wahlen gewinnen zu können. Die ursprüngliche Idee einer „Repolonisierung der Medien“ verstieß so eklatant gegen EU-Recht, dass das Gesetzesprojekt am Ende im Papierkorb landete. Auch das Projekt der „Medien-Restrukturierung“ stieß auf rechtlich kaum zu überwindende Hürden. Der entscheidende Tipp zur Liquidierung der freien Presse kam dann aus Ungarn. Mit Steuern als finanzielle Daumenschraube sollen die freien Medien an den Rand des Ruins getrieben werden, fürchten die protestierenden Medienhäuser.
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