Medienpodcast von Civis und SZ: Was ist die Wirklichkeit?
Im neuen Podcast „quoted“ geht es darum, wie Medien den Blick auf Ereignisse prägen. Das ist gut gemacht, nimmt aber nur jene mit, die sich auskennen.
Februar 2022, der CBS-Auslandsreporter Charlie D’Agata sagt Folgendes in die Kamera: „Bei allem Respekt, das ist kein Ort wie Irak oder Afghanistan.“ Er berichtet aus Kiew über den russischen Angriffskrieg. Dann sagt er, die ukrainische Hauptstadt sei „relativ zivilisiert“ und „relativ europäisch“. Nils Minkmar, Journalist der Süddeutschen Zeitung, erwidert im eigenen Podcast: Afghanistan und Irak seien die Geburtsstätten der menschlichen Zivilisation. Und ergänzt: „Als hier noch die Elche durch die Wälder stapften.“
D’Agatas Aussage hat vor allem eines offenbart: Wie stereotyp manche westliche Journalist:innen auf nichtwestliche Nationen schauen – und auch auf die Menschen, die aus ihnen vor dem Krieg flüchten. Genau das ist Thema der ersten Folge von „quoted. Der Medienpodcast“, einem neuen Podcast, in dem Minkmar zusammen mit der Kommunikationswissenschaftlerin Nadia Zaboura über Berichterstattung spricht. Und darüber, wie Medien unser Bild der Wirklichkeit beeinflussen.
In den dreißigminütigen Folgen, produziert von der Civis-Medienstiftung und der Süddeutschen Zeitung, besprechen Zaboura und Minkmar aktuelle Geschehnisse und wie die Medien sie darstellen. In der ersten Folge „Krieg und Krisen: Zweierlei Maß?“ beleuchten die Hosts, wie unterschiedlich über Geflüchtete 2015 und 2022 berichtet wurde. In der zweiten Folge fragen sie sich, warum der französische Wahlkampf auch dank der Medien so rechtspopulistisch dominiert war.
Die Erkenntnisse sind lehrreich und eröffnen neue Blickwinkel auf vieldiskutierte Probleme. Gästin in der ersten Folge ist Naika Foroutan, die Direktorin des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung. Sie erklärt, dass 2015 viele Wochen positiv über syrische Geflüchtete und ihre Helfer:innen berichtet wurde. Das wurde den Medien bald zu eintönig und man widmete sich von da an den kritischen Stimmen.
Angenehme Dynamik
Das Engagement blieb zwar, geriet aber in den Hintergrund. Foroutan: „Wir haben die, die geholfen haben, immer mehr unsichtbar gemacht.“ In der zweiten Folge stellen Zaboura und Minkmar fest, dass die Medien im französischen Wahlkampf mehr über die politischen Figuren als ihre Politik berichteten: Marine Le Pen als „Frau beim Katzestreicheln oder Rosétrinken“ statt als die Rechtextreme, die rassistische Mythen auf riesigen Bühnen verbreitet. Die Hosts erklären daran auch, wie Diskursverschiebung funktioniert: Der Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour vertrat noch radikaler rechtsextreme Positionen, sodass Le Pen plötzlich sogar politisch gemäßigt wirkte.
Zu erklären, welche Phänomene in den Medien zu einer verzerrten Darstellung der Realität führen können, kann Hörer:innen helfen, ihre Medienkompetenz zu verbessern. Auch die Kombination der Hosts aus Wissenschaftlerin und Journalist führt zu einer angenehmen Dynamik. Zaboura stellt lieber Fragen, als große Hypothesen aufzustellen: „Kann Berichterstattung Humanismus in Menschen entfachen?“, „Wer findet in den Medien Gehör?“ Minkmar übersetzt den Wissenschaftsjargon Zabouras, wenn sie von „disparaten Einheiten“ und „dynamischem System“ spricht, in verständliche Sprache. Und er berichtet aus seiner praktischen Erfahrung als Journalist, zum Beispiel aus Frankreich über sein Bild der sogenannten Pariser Medienelite.
Bei all den wichtigen Fragen und Erkenntnissen kann man sich trotzdem fragen, wie geeignet „quoted“ für Menschen ist, die noch kein Hintergrundwissen über mediale und politische Zusammenhänge haben. Zweifel daran kann man bekommen. Wenn Zaboura zwar sagt, dass Deutschland Mitverursacher von Fluchtbewegungen ist, aber nicht erklärt, warum das so ist. Oder wenn die Hosts anreißen, dass sich der französische Wahlkampf inhaltlich von der Kaufkraft-Debatte zu Symbolpolitik entwickelt habe. Oft bleiben die Begriffe anspruchsvoll und die Erklärungen spärlich.
Als Minkmar die Zielgruppe einer linksliberalen französischen Radiosendung als „pensionierte Lehrer und ehemalige Gewerkschaftsfunktionäre“ beschreibt, könnte das auch auf „quoted“ selbst zutreffen. Die Frage bleibt: Schließt dieser Medienpodcast mit seiner abstrakten Sprache und manchem vorausgesetzten Wissen wieder nur Leute ein, die sich sowieso schon auskennen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül