Medienforscherin über Ost-Zeitungen: „Überlebt haben fast keine“
1990 gründeten sich 120 neue Zeitungen in der DDR. Was wurde aus ihnen? Warum etablierte sich keine Ostpresse im Westen? Das untersucht Mandy Tröger.
taz am wochenende: Frau Tröger, nach der Maueröffnung wollte die DDR-Regierung eine freie Medienlandschaft. Also gleiche Bedingungen für alte und neue Titel aus dem Osten und Blätter aus dem Westen. In Ihrem Buch heißt es aber, die Entwürfe für diese neue DDR-Medienordnung „gründeten auf den Interessen und der Logik westdeutscher Verlage“. Was ist da schief gegangen? War es wirklich ein abgekartetes Spiel?
Mandy Tröger: Das zwar nicht, aber eine Art logische Konsequenz. Denn es gab ja den enormen Reformdruck von unten, von den Menschen, die 1989/90 auf die Straße gingen. Da war eine der zentralen Forderungen: freie Presse, Meinungsfreiheit. Dazu gehört natürlich auch, dass alle Westzeitungen haben wollten, an die man vorher kaum herankam. Parallel zu diesen Reforminitiativen im Osten haben früh die westdeutsche Politik und vor allem die westdeutsche Wirtschaft ihre Interessen ausgespielt. Und die DDR-Regierung musste darauf reagieren …
geboren 1980 in Ost-Berlin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. 2018 promovierte sie am Institut of Communications Research der University of Illinois at Urbana Champaign. Ihr Buch „Pressefrühling und Profit – Wie westdeutsche Verlage 1989/90 den Osten eroberten“ ist im Herbert von Halem-Verlag erschienen.
Als der entschieden schwächere Partner …
Es gab schon früh, im Dezember 1989, ein Abkommen zwischen dem neuen DDR-Regierungschef Hans Modrow und BRD-Bundeskanzler Helmut Kohl, in dem ein deutsch-deutscher Presseaustausch beschlossen wurde. Dabei wurden die komplett unterschiedlichen Bedingungen in der DDR und der BRD aber außer Acht gelassen: Hochprofitable Verlage im Westen und eine komplett unterversorgte Presselandschaft im Osten. Mit der Öffnung der Mauer fand da natürlich ein einseitiger Import in den Osten statt, der den Westverlagen in die Hände spielte.
Weil diese die bestehenden Monopolstrukturen und die kriselnde Planwirtschaft zu ihrem Vorteil nutzen konnten: Die neuen Zeitungen im Osten bekamen ja nicht mal genügend Papier zugeteilt.
Das ganze war noch vielschichtiger. Da gab es mindestens drei Dimensionen: Einmal den simplen Import von westdeutschen Titeln in die DDR. Dann die ersten „Zeitungshochzeiten“ lange vor der offiziellen Privatisierung durch die Treuhand. Und die Vertriebsstrukturen: In der DDR hatte die Post das Monopol auf Zeitungszustellung, aber auch was den Verkauf am Kiosk anging. All das hat finanzstarken Verlagen aus der BRD geholfen.
Zumal von einem „Presseaustausch“ keine Rede sein kann. Es haben ja keine DDR-Titel die westdeutschen Zeitungsregale geflutet …
Das war schon Thema bei einer deutsch-deutschen Medientagung am 8. Februar 1990. Da wurde von ostdeutscher Seite klar gesagt, dass das so nicht funktionieren kann und dass man Unterstützung brauche bei Druck oder Werbung. Das Bundesinnenministerium hat auch Hilfe versprochen. Da ist aber nie etwas passiert. Insofern war das von Anfang an illusorisch.
Welche Rolle spielten hier die Großverlage Bauer, Burda, Springer und Gruner + Jahr?
Eine ganz entscheidende. Sie wollten zunächst ein Joint Venture mit der DDR-Post für den Zeitungsvertrieb aufbauen. Das ist ironischerweise am Widerstand mittelständischer Verleger aus dem Westen gescheitert, die für ihre Blätter Nachteile befürchteten. Daraufhin haben die vier Verlage ihr eigenes Ding gemacht und ihre Blätter ab Anfang März 1990 über Bäckereien und Geschäfte verkauft. Das war in der DDR eine rechtliche Grauzone, gemessen an der Gesetzeslage im Westen war es aber illegal. Denn es handelte sich vor allem um einen Exklusivvertrieb für westliche Titel, während die alten und neuen Titel aus der DDR bis zuletzt hauptsächlich am maroden Postzeitungsvertrieb hingen.
Welche Folgen hatte das?
Das Bundeskartellamt hat nach der Vereinigung geurteilt, dass das marktschädigend war und dieses Verlagskartell zerschlagen. Da war das Kind aber schon im Brunnen. Vor allem die neu gegründeten Blätter steckten in solchen finanziellen Schwierigkeiten, dass sie sich davon nicht mehr erholen konnten. Von den 1990 rund 120 neu gegründeten Titeln waren schon Ende 1992 keine 50 mehr übrig. Überlebt haben bis heute fast keine.
Welche Rolle spielte hier das Bundesinnenministerium? Der Bund ist und war ja gar nicht für Medien- oder Pressepolitik zuständig.
Das BMI hat sich nach außen immer rausgehalten und gesagt: „Was Westverlage in der DDR machen, da haben wir keinen Einfluss drauf.“ Aber natürlich gab es klare Interessen mit Blick auf die ersten freien Volkskammerwahlen im März 1990. Das BMI hat schon im Februar 1990 Gespräche mit den BRD-Verlegerverbänden geführt, um früh Westpresse in den Osten zu kriegen. Das hatte natürlich mit parteipolitischen Interessen aus der BRD zu tun. Mit den Ostverlagen haben die nie gesprochen.
Das heißt: Alles, was der DDR-Medienminister Müller oder der „runde Tisch“ an Veränderungen wollte, war von vornherein illusorisch?
Medienminister Müller hat das damals schon sehr gut verstanden und in seinem Ministertagebuch festgehalten. Er hat zum Beispiel klar gesehen, was passiert, wenn die starken SED-Bezirkszeitungen mit großen Westverlagen zusammengehen. Schnell wurde auch klar, dass der Westen das geplante umfassende Mediengesetz nicht wollte. Da sollte es um Dinge wie „innere Pressefreiheit“ gehen, was für die Verleger ja bis heute ein rotes Tuch ist. Alles, was aus der Diktaturerfahrung der DDR absolut Sinn machte, wie man Medien und Journalismus neu denken muss, fiel durchs Raster. Ziel der BRD war es, die Westverhältnisse und -strukturen nicht durch neue Konzepte zu gefährden. Das Westsystem sollte vielmehr eins zu eins im Osten übernommen werden – so kam es dann ja auch, bis hin zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Was waren denn die absurdesten Auswüchse?
Ursprünglich hatte Gruner + Jahr einen Deal angeboten, bei dem sie nur Remissionsware, also im Westen nicht abgesetzte Exemplare, in den Osten gebracht hätten – zum halben Preis. Das wurde ziemlich gönnerhaft verkauft, dabei wäre das sonst im Altpapier gelandet. Daraus wurde aber nichts.
Welche Geisteshaltung steckte wiederum auf Westseite dahinter?
Ich glaube, das war so ein bisschen die Überzeugung: „Freie Presse müsse in den Osten kommen.“ Was in der Wendezeit im Osten entstand an Reformideen, neuen Blättern aus der Bürgerbewegung – all das wurde nicht für voll genommen.
Wie ist denn die Rolle der SED-Blätter in dieser Zeit zu bewerten?
Die hatten in ihrer Region – es gab in jedem der 15 Bezirke der DDR einen Titel – quasi ein Monopol und sind somit fast ungeschoren durch die Wendezeit gekommen. Sie haben auch die ganze Zeit von ihren Privilegien profitiert – die bevorzugte Papierzuteilung, ihre modernen Druckereien, dass sie mehr Personal hatten und mehr Telefonleitungen als andere Blätter.
An den Folgen der Transformation leidet Ostdeutschland noch heute: Die Presselandschaft ist weiter von den ehemaligen SED-Bezirkszeitungen geprägt, die inzwischen alle in den Händen großer Westverlage sind. Von Vielfalt kann eigentlich keine Rede sein. Dafür stehen wiederum aktuell viele Menschen den Medien insgesamt sehr kritisch gegenüber. Gibt es da für Sie einen Zusammenhang?
Wenn man heute die Vorwürfe wie „Mainstream“ oder „Lügenpresse“ sieht, muss man verstehen, was damals passiert ist. Denn da liegen die Wurzeln. Die Desillusion, die in diesen Übergangsjahren erfahren wurde, wirkt nach. Es war die Erfahrung des Marktes, nicht die der Demokratie. Also keine Stimme zu haben – Zeitung stand ja auch für Partizipation. Aber all das wurde überrollt vom Markt. Die ganzen Zeitungsneugründungen standen für eine neue demokratische Partizipation, gingen dann aber sofort wieder bankrott.
Sie haben Ihre Arbeit nicht in Deutschland, sondern in den USA geschrieben. Warum muss man für so ein wichtiges Kapitel der jüngeren deutschen Mediengeschichte nach Illinois?
Weil es in Deutschland politisch, sozial und wirtschaftlich noch zu nah dran ist. Es geht um die Interessen von Konzernen, die weiterhin den Ton angeben. Ich wollte dem Geld folgen und fragen: Wie bestimmen Wirtschafts- und Politikinteressen das Mediensystem, das wir haben. Dieser Ansatz ist in der deutschen Kommunikationswissenschaft ausgestorben, und in Bezug auf die Wende sind eben noch zu viele Interessen involviert. In den USA hat das niemanden interessiert – da war das eine nette Fallstudie. Dabei ist die Frage nach der wirtschaftlichen Dimension genau so wichtig, wenn wir heute über Medientransformation und Digitalisierung sprechen. Das wird aber in der wissenschaftlichen und politischen Debatte häufig außen vor gelassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren