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Medienberichte über AnschlägeEine einfache Rechnung

Internetnutzer beschweren sich, dass viel über die Anschläge in Brüssel, aber wenig über Lahore und Bagdad berichtet wurde. Das ist scheinheilig.

Hinterbliebene der Anschläge in Lahore Foto: ap

Die Debatte kommt immer wieder, zuletzt im November 2015, nach dem Terror in Paris und Beirut. Die Medien, heißt es nun erneut, hätten mehr über die Anschläge in Brüssel berichtet als über die in Lahore und Bagdad. Kann ja nur am Rassismus der Journalisten liegen, meckert es in sozialen Netzwerken. Aber das greift zu kurz.

Es stimmt: Über Lahore und Bagdad wurde weniger geschrieben als über Brüssel. Keine Brennpunkte, keine Liveticker. Genauso, wie sich in den sozialen Medien weniger über die Anschläge unterhalten wurde. #tatort, #sherlock, #afd, #ostern – all diese Hashtags wurden am Dienstagmorgen häufiger verwendet als #lahore.

Ein ähnliches Bild zeichnet Martin Belam, Digitalredakteur beim Guardian.Er dröselte auf, wie auf guardian.com Artikel über Lahore gelesen werden: kaum. Am Morgen nach dem Anschlag gehörten sie nicht einmal zu den fünf meistgelesenen Texte auf der Webseite. Man kann nun sagen, an Feiertagen lesen generell wenig Leute Onlinenachrichten.

Nur sehen die Klickbilanzen bei Berichten über Anschläge außerhalb der „westlichen Welt“ häufig so aus. Und „außerhalb der westlichen Welt“ beginnt schon bei Anschlägen in der Türkei. Sofern nicht Deutsche unter den Opfern sind.

Medien richten sich nach dem Interesse der Leser. Und wenn die Leser Artikel über Terror in Brüssel lesen, produzieren Onlineredaktionen mehr Artikel. Lesen sie wenig zu Lahore und Bagdad, produzieren die Redaktionen dazu weniger. Das ist weder ein Skandal noch Rassismus, es ist eine simple Angebot-Nachfrage-Rechnung.

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6 Kommentare

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  • Nachfrage kann man aber auch steuern und gerade bei Ereignissen wie denen in Paris und Brüssel wird ja wohl bewusst ein Hype kreiert um möglichst viel kurzfristig zu verdienen. So ist das eben im Kapitalismus.

    • @JoWall:

      Das ist vollkommen richtig, Nachfrage kann man steuern und verantwortungsvoller Journalismus kann hier auch ansetzen. Der Anschlag in Lahore zielte zwar auf die Christen in Pakistan, aber eine intensivere Berichterstattung würde deutlicher machen, dass die weitaus meisten Opfer des islamistischen Terrors eben Muslime sind. Eine solche Erkenntnis wäre zumindest ein Schritt, die Ausgrenzung von Muslimen zu stoppen, um damit die Spaltung der Gesellschaft, wie der IS sie laut dem Artikel von Gawhary bezweckt, zu verhindern.

      Andererseits muss man sagen, dass es auch ein legitim stärkeres Interesse an Ereignissen in der näheren Umgebung gibt.

  • Es kann kaum Aufgabe der Presse sein, "den Leuten" nach dem Mund zu reden. Die Presse muß unabhängig von Mehrheitsmeinungen ihren Job tun. Und sie könnte auch gelegentlich mit gutem Beispiel voran gehen.

     

    Deswegen ist es eine steile These, die die Autorin da aufstellt. Simple Angebot-Nachfrage-Rechnung? Presse ist doch keine neoliberale Marktwirtschaft. Sie sollte die vierte Macht im Staate sein und schreiben, was wichtig ist. Nicht das, wofür sie am meisten Likes bekommt. Also echt.

  • Genau diese "einfache Rechnung" ist schlimm.

    Der Isolationismus in den Metropolen sagt einfach: mir doch egal was denen passiert.

    Genau das ist alles Teil der unterlassenen Hilfeleistung.

  • Woher nehmen Sie die Überzeugung, dass derjenige der das gelesen hat nicht dennoch recht hat mit seiner individuellen Kritik?

  • Alles richtig. Der Mensch ist nun mal beschränkt aufnahmefähig und das Interesse sinkt, wahrscheinlich, im Quadrat mit der Entfernung von der persönlichen Sphäre. Das gilt überall auf der Welt.

    Trotzdem ist es nicht verwunderlich, dass eine Nachrichtenselektion in der heutigen Zeit als Rassismus bezeichnet wird und man kann sich da nicht mit "Angebot-Nachfrage" herausreden. Dann kann im Männertennis auch mehr bezahlt werden, als im Frauentennis. Angebot und Nachfrage. Hätte dann nix mit Seximus zu tun.

    Zurück zum Anfang. In Lahore wird wahrscheinlich auch nicht viel über Brüssel nachgedacht. Zurecht.