Medien und Gewalt: In der Grauzone
■ Schweigen oder Schreiben – wie soll die Presse über Adelina berichten?
Adelina entzweit die Medien. Einige Blätter beschäftigen sich Tag für Tag mit dem Fall des verschwundenen elfjährigen Mädchens aus Kattenturm, obwohl die Polizei im Dunkeln tappt – es also eigentlich nur wenig zu vermelden gibt. Andere Zeitungen – darunter auch die taz bremen – vermeiden sensationslüsterne Panikmache, weil es kaum Neuigkeiten gibt. Der Münsteraner Medienwissenschaftler Prof. Klaus Merten forscht seit Jahren über die Wirkung von Bericht und Nachricht auf die Öffentlichkeit. Schweigen oder schreiben? Wir fragten nach, wie die Presse am besten mit dem Fall Adelina und ähnlichen Fällen verfahren sollte.
taz: Berichte über Gewaltverbrechen ziehen oft Trittbrettfahrer nach sich. Sollten die Medien solche Themen deshalb am besten totschweigen?
Klaus Merten: Nein. Journalisten haben Chronistenpflicht, das ist ein wichtiger gesellschaftlicher Auftrag. Einerseits interessieren solche Themen die Leute, andererseits sollte man es jedoch vermeiden, die Menschen in Panik zu versetzen. Außerdem gibt es tatsächlich Dinge, über die man besser schweigt, damit es nicht erst richtig los geht.
Welche sind das?
Über Bombendrohungen in Bahnhöfen wird so gut wie nie berichtet. Die Bahn sagt, damit würden unnötig Kunden verängs-tigt, außerdem seien das allermeistens dumme Streiche, bei denen nichts passiert. Ich finde das richtig. Außerdem wird die Arbeit der Polizei durch Berichte über solche Ereignisse nicht geringer.
Warum?
Oft schürt vor allem die Boulevardpresse bewusst die Angst, nur um Auflage zu machen. So rückt ein Thema erst ins Bewusst-sein der Öffentlichkeit, viele Hinweise laufen bei der Polizei auf: Oft ohne jeden Hintergrund.
Aber es gibt doch berechtigte Ängste, zum Beispiel die von Eltern um ihre Kinder.
Ohne Zweifel. Wenn durch die Presse eine konkrete Fahndung – wie die Suchmeldung nach Adelina – erst verbreitet wird, macht das Sinn.
Wie weit darf Berichterstattung gehen?
Das ist die Gretchenfrage. Alles, was Angst macht, halte ich für verwerflich, alles, was die Menschen vorsichtig macht, ist nützlich. Aber auch da gibt es Grauzonen. Da nach der Lektüre von Goethes „Werthers Leiden“ bis heute 14.000 Menschen aus Liebeskummer den Freitod gewählt haben, ist das Buch in Italien heute verboten. Sollten wir Goethe etwa auch totschweigen?
Nein! Allerdings verdienen Journalisten wie Verlage mit Geschichten wie die über die Werther-Selbstmörder ihr Geld.
Richtig. Deshalb würde ich raten, in derartige Stories explizit hineinzuschreiben, dass sie möglicherweise schlimme Folgen haben könnten. Es liegt viel an der Vorsicht und am Bewusstsein der Journalisten.
Nach der kritischen Berichterstattung über Neonazi-Übergriffe gab es im vergangenen Jahr viele Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit. Seitdem gibt es scheinbar nicht mehr so viel rechtsradikale Gewalt in Deutschland.
Berichte können abschrecken, das ist wahr. Aber vor den Lichterketten hatten Medienberichte ja auch offenbar zu rechten Nachahmertaten animiert.
Sollten Journalisten also aufhören zu fragen?
Nein. Vielleicht wäre jedoch manchmal ein bisschen Selbstzensur anzuraten: Der ARD-Moderator Klaus Bednarz erzählte mir kürzlich von einem äußerst radikalen Muslim in Köln, der nicht zum Thema in „Monitor“ geworden ist. Bednarz meinte – zu recht –, dass dieser Geschichte eine Hasswelle gegen Türken in der Stadt ausgelöst hätte. ksc
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