#MeToo im Film: Unfreiwillige Feministinnen
Genötigte Frauen, verfälschte Realität: Der Film „Bombshell“ zeigt das System hinter der glatten Oberfläche des konservativen Fox-Journalismus.
Der Mann ist ein „legman“. „Zeigt ihre Beine“, blökt er die Regie seines TV-Nachrichtensenders an, die gerade eine politische Diskussion zur anstehenden Präsidentschaftswahl überträgt. Die gehorcht und schneidet auf eine andere Kameraeinstellung, in der die langen Beine einer Kommentatorin zur Geltung kommen. „Das ist ein visuelles Medium. Also ziehen Sie bitte mal Ihr Kleid hoch, ich will Ihre Beine sehen“, sagt er auch zu Kayla Pospisil (Margot Robbie), die in seinem Büro sitzt, um ihm, Roger Ailes (John Lithgow), den Chef von Fox News, von ihren ehrgeizigen Plänen als Moderatorin zu berichten. Kayla ist zunächst unsicher, steht dann aber auf und nestelt am Rocksaum.
Fox News, gegründet vom Medienmogul Rupert Murdoch, und bis 2016 geführt und aufgebaut von jenem Roger Ailes, ist der wichtigste Teil der konservativen Medienöffentlichkeit der USA. Von hier aus wird Donald Trump, werden seine Ansichten, Falschinformationen und Beleidigungen in die Welt gesendet – notdürftig journalistisch verarztet.
„Wenn du keine Quellen hast, verwende ‚manche sagen‘ “, hatte die Redakteurin Jess (Kate McKinnon) Kayla kurz vorher an ihrem neuen Arbeitsplatz erklärt. „Echt?“, entfährt es Fernsehrookie Kayla ungläubig. Aber sie wird noch viel mehr, noch viel Schlimmeres lernen.
Kayla ist eine ausgedachte Figur, die in den Film geschrieben wurde, um die vielen Frauen zu repräsentieren, die Ailes’ Übergriffigkeit tatsächlich erlebt haben. Die anderen Charaktere und Begebenheiten in Jay Roachs fiktionaler, aber akkurater Abrechnung mit Fox News und Ailes, der 2016 wegen von 22 Opfern bezeugten sexuellen Übergriffen seinen Posten als Fox-CEO und Chairman aufgeben musste, sind echt.
Perfekt geföhnt
Die Journalistin, Kommentatorin, Stanford-Absolventin und ehemalige Miss America Gretchen Carlson, im Film gespielt von Nicole Kidman; die Journalistin, Moderatorin und Rechtsanwältin Megyn Kelly, im Film dargestellt von Charlize Theron; dazu Kayla: Mit perfekt geföhnten Blondinen in Etuikleidern und auf High Heels inszeniert Regisseur Roach punktgenau das Bild einer toxisch-misogynen Arbeitswelt, die auf allen Seiten vor Narzissmus brummt und Homosexualität nicht gern sieht (Kaylas Verhältnis mit Jess kehrt diese lieber unter den Teppich). Und die den Mitarbeiterinnen Alter, Rocklänge und Absatzhöhe vorschreibt – einfach nur, weil geile, alte, einflussreiche Männer es so haben wollen.
Dabei meidet der Film visuell jeglichen „male gaze“ – angesichts des Themas nicht ganz unkompliziert. Stattdessen tanzt ein Reigen aus mit Make-up und Gefasstheit gebügelten, weiblichen Gesichtern um den Harvey-Weinstein-ähnlich mit üppiger Körperfülle und Gehhilfe gezeichneten Ailes herum. Roach und sein Drehbuchautor Charles Randolph setzen ganz auf Beiläufigkeit und Fakten, anstatt auf emotionale Manipulation.
In ihrem Film wird kaum geweint, es wird nicht zusammengebrochen, nicht mit Liebesgeschichten vom eigentlichen Thema abgelenkt; nur selten sind Kinderkulleraugen zu sehen, die üblicherweise die „schwache“, nämlich familiäre oder gefühlige Seite von „harten TV-Anchor-Frauen“ symbolisieren – das wäre die Fox-Methode. „Bombshell“ ist darum so gelungen, weil er die glatte Oberfläche des tendenziösen Fox-Journalismus als Fassade präsentiert. Und dabei seine Protagonistinnen und deren Agenden nicht verschont.
„Ich bin keine Feministin“, wiederholt Fox-Anchorfrau Kelly gebetsmühlenartig, kurz zuvor hatte sie den damaligen Präsidentschaftskandidaten Trump in einer wichtigen Wahlkampf-Talkshow auf seine Bezeichnungen für Frauen angesprochen („Bitches, dicke Schweine“ und so weiter). Sie ist aber bereit einzuknicken und führt ein paar Monate später auf dem Sender ein versöhnliches Gespräch mit ihm, um ihre Karriere nicht zu gefährden.
Profit und Gewissen
Roach und Theron stellen Kelly als eine ehrgeizige, zweifelnde Frau dar, die lange braucht, bis sie sich zwischen Profit und Gewissen entscheidet. Bei Carlson, die Kidman mit gruselig unbeweglichem Fernsehgesicht spielt, ging es schneller – ihr mutiger, von Anwält*innen begleiteter Schritt an die Öffentlichkeit war prägend und löste die Lawine aus, die Ailes schließlich mitriss. Wenn auch nicht bis ganz in den Keller: Ailes war bis zu seinem Lebensende – der Bluter starb krankheitsbedingt 2017 – weiterhin als gut bezahlter Berater für Fox News tätig.
Roach lässt seinen Figuren die Ambivalenz. Dennoch ist „Bombshell“ meinungsstark und eindeutig, und geht über den #MeToo-Aspekt hinaus: Er ist eine Parabel auf die Käuflichkeit von Menschen. „Er wollte uns haben, und wir haben Sendezeit bekommen“, zischt eine Redakteurin aus dem „Team Roger“ Kelly irgendwann zu, und versucht, ihr das als fairen Deal zu verkaufen.
Denn nichts anderes scheint möglich zu sein, wenn eine Frau in den US-Medien Karriere machen will. So tief drin steckt diese Ansicht, dass viele Frauen sie sogar selbst glauben. Das ist das eigentliche Drama.
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