#MeToo-Fall in China: Alibaba kündigt mutmaßlichem Opfer
Eine Angestellte des chinesischen Internetriesen hat nach Missbrauchsvorwürfen eine Debatte über sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz ausgelöst.
Ein Rückblick: Die Frau, die in den Gerichtsakten nur mit ihrem Nachnamen Zhou identifiziert wird, soll laut eigener Aussage während einer Geschäftsreise Ende Juli von ihren Vorgesetzten und Geschäftspartnern zu exzessivem Alkoholkonsum bis zur Bewusstlosigkeit gedrängt worden sein. Ihre Erinnerungen an die folgende Nacht sind nur schemenhaft, doch legen sie ein schweres Verbrechen nahe: Als die Chinesin in ihrem Hotelbett in der Stadt Jinan aufwachte, soll sich ihr Chef über sie gedrängt haben. Am nächsten Morgen waren ihre Kleidungsstücke im Raum verteilt, ihre Unterwäsche nicht auffindbar.
Doch vor allem, was nach der eigentlichen Tat passierte, löste unter vielen Chinesinnen eine Welle der Solidarität aus: Mehrmals versuchte das mutmaßliche Opfer, die Anschuldigungen innerhalb des Unternehmens vorzubringen, wurde aber stets abgewiesen. Schlussendlich entschloss sich die Frau, ihre Erlebnisse auf dem firmeneigenen Intranet für Tausende Mitarbeiter sichtbar zu posten. Im patriarchalen China ist dies ein mutiger und bis dahin unerhörter Schritt.
Über 6.000 Angestellte von Alibaba unterzeichneten innerhalb weniger Tage eine Petition, in der sie unter anderem die restlose Aufklärung des Falls forderten. Eine Antwort der Firmenleitung folgte prompt: Alibaba-Vorstand Daniel Zhang zeigte sich in einem offenen Brief „wütend, schockiert und beschämt“, kündete restlose Aufklärung an und feuerte den mutmaßlichen Vergewaltiger.
Umso mehr überrascht nun, dass der Klägerin selbst ebenfalls gekündigt wurde. In einer Stellungnahme von Alibaba wird sie der Falschaussage und Rufschädigung bezichtigt. Das Unternehmen bezieht sich dabei vor allem auf den Vorwurf der Vergewaltigung. Weiter heißt es: „Der Schaden, der dem Unternehmen (…) zugefügt wurde, ist unberechenbar.“
Chinas Rechtsprechung ist männlich geprägt
Fakt ist: Der angeklagte Vorgesetzte wurde vom Gericht freigesprochen, da ihm aus rechtlicher Sicht keine Vergewaltigung nachgewiesen werden konnte. Gleichzeitig jedoch hielt die Polizei fest, dass Frau Zhou sehr wohl sexuell belästigt wurde. Wegen „aufgezwungener Unanständigkeit“ wurde der Mann dementsprechend für 15 Tage in Gewahrsam genommen. Nach jetzigem Wissensstand bleibt die Causa höchst ambivalent.
Wenig überraschend hat der Fall nun erneut eine heftige Kontroverse im Internet ausgelöst. „Ich finde es äußerst beängstigend, die eigene Position als Frau zu nutzen, um nach Belieben falsche Geschichten zu erfinden und anderen eine Falle zu stellen“, schreibt ein Nutzer auf der Onlineplattform Weibo.
Gleichzeitig halten viele Chinesen weiterhin zu der Anklägerin: „Wie kann so ein Verhalten eines Vorgesetzten nicht ausreichen, um ein Verbrechen darzustellen? Was ist das für eine Welt?“ Insbesondere junge Frauen befürchten, dass das eigentliche Opfer aufgrund patriarchaler Firmenstrukturen und einer männlich geprägten Rechtsprechung nun zum Täter gemacht wird.
Frau Zhou selbst hat in einem schriftlichen Interview mit der Zeitung Dahe Daily erklärt, dass sie der Fall psychisch stark mitgenommen habe. Sie schreibt von Depressionen und mehreren Suizidversuchen. Sie werde laut eigener Aussage ihre Kündigung nicht hinnehmen und rechtlich dagegen vorgehen: „Die Firma hat kein Recht, mich zu feuern.“
Bemerkenswert ist die Debatte vor allem deshalb, weil sie frei geführt und von den Zensoren des Landes weitestgehend geduldet wird. Erst vor wenigen Wochen reagierten die Autoritäten geradezu gegensätzlich: Als die Tennisspielerin Peng Shuai den ehemaligen Vizepremier Zhang Gaoli der Vergewaltigung bezichtigte, verhängte das Propagandaministerium einen Maulkorb rund um den Fall. Bis heute sind sämtliche Spuren über die Anschuldigungen der Athletin aus dem Internet gelöscht, die meisten Chinesen haben nichts davon mitbekommen. Dass erstmals ein hochrangiger Politiker öffentlich von einem Missbrauchsopfer angeklagt wird, will die Regierung um jeden Preis unter den Teppich kehren. Zu brisant sind die Anschuldigungen für den Machtanspruch der Parteiführung.
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