Maßstab Saarland: Großes, kleines Bundesland
Von der Illusion, wir hätten eine Vorstellung davon, wie groß eine Fläche von 2.569 Quadratkilometern ist. Warum das Saarland zum Maß wurde.
Der Mensch ist, was seine Sinne betrifft, kränkenden Einschränkungen unterworfen. Farben eines bestimmten Spektrums oder Geräusche einer gewissen Frequenz entziehen sich seiner Kenntnis. Er nimmt sie schlicht nicht wahr. Gleiches gilt für Zeichenzahlen (dieser Text hat bis zum t von exakt 249 Anschläge) und mehr noch für Flächen. Flächen sind der Endgegner. Mühelos lassen sie sich messen und in exakte Zahlen fassen. Nur vorstellen können wir uns darunter nichts. Was sind 7.140 Quadratmeter, was 2.569 Quadratkilometer? Eben.
Nun wäre der Mensch nicht Mensch, wüsste er sich nicht zu behelfen. 7.140 Quadratmeter, das ist ein Fußballfeld. Und 2.569 Quadratkilometer, das ist das Saarland. Würde man es konsequent einebnen und einer sinnvollen Nutzung zuführen, ließen sich 358.000 Fußballfelder im Saarland anlegen. Eine Ebene aus 358.000 Fußballfeldern wiederum kann sich vermutlich auch der glühendste Fan des 1. FC Saarbrücken nicht vorstellen. Deshalb das Saarland. Es ist das drolligste Flächenmaß, das wir im bundesdeutschen Kulturkreis kennen.
Wann immer in Brasilien ein Wald brennt, vor Alaska sich ein Ölteppich ausbreitet, von einem See in den USA oder einem Reservat in Botswana die Rede ist – stets ist das Bezeichnete doppelt, halb oder exakt so groß wie das Saarland.
Und wenn ein antarktischer Eisberg auf den Meter so groß ist, sagen wir, wie Sachsen-Anhalt, wird nie von Sachsen-Anhalt, aber zuverlässig „von der etwa zehnfachen Fläche des Saarlands“ die Rede sein. Das Saarland ist die informelle Maßeinheit für „ein ziemlich großes Gebiet, das man sich gerade noch so vorstellen kann“. Sachsen-Anhalt ist einfach Sachsen-Anhalt.
Warum ist das so? Was macht das Saarland zum Maß aller Dinge, das etwa gleich große Luxemburg aber zu einem dubiosen Fürstentümchen von diffuser Ausdehnung?
Der Mensch als horiziontales Wesen
Das Saarland hat nur zwei Silben, ist also schneller zur Hand (und in jeder Hinsicht handlicher) als etwa Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Es eignet sich überdies zur Abstraktion, weil kaum jemand Konkretes mit dem Saarland verbindet. AKK, vielleicht noch Heiko Maas, Lafontaine, ganz früher noch Honecker, Saar, Mosel … Mosel doch auch, oder? Da hört’s schon auf.
Der Mensch wiederum, sofern er keinen Pilotenschein hat, ist ein horizontales Wesen. Er kann Distanzen abschätzen, aber keine Räume. Anschaulich ist ihm nur, worauf er Draufsicht hat. Ein Tennisplatz etwa oder, vom Selberspielen oder aus dem Fernsehen, das Fußballfeld. Und wer jemals in einen Atlas der Bundesrepublik geschaut hat, „kennt“ das Saarland von oben. Es erscheint so verhältnismäßig klein, dass der Illusion schnell nachgegeben ist, man könne es sich, anders als einen flächenmäßigen Kaventsmann wie Bayern, „gerade noch so vorstellen“.
Kann man aber nicht. In Wahrheit vermag niemand sich die wahre Größe des Saarlands auch nur annäherungsweise auszumalen. Als Maßeinheit ist „Saarland“ nur eine beruhigende Chiffre. Sie hilft uns über die kränkende Einschränkung hinweg, dass wir uns 2.569 Quadratkilometer einfach nicht vorstellen können.
Aktuelle Analysen und Grafiken zur Wahl im Saarland gibt es hier.
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