Massaker im ukrainischen Butscha: Nebelkerzen aus Moskau
Die russische Regierung will mit den Morden an Zivilisten in der ukrainischen Kleinstadt nicht zu tun haben. Recherchen ergeben ein anderes Bild.
„Soldaten des 72. ukrainischen Hauptzentrums für psychologische Einsätze führten am 4. April in einem Dorf 23 Kilometer nordwestlich von Kiew eine weitere Inszenierung von Filmaufnahmen von Zivilisten durch, die angeblich durch das gewaltsame Vorgehen der russischen Streitkräfte getötet wurden“, erklärte das russische Verteidigungsministerium in Moskau am Dienstag. Am Montag hatte der russische UN-Botschafter Wassily Nebensia auf einer Pressekonferenz behauptet, die Fotos und Videos von Leichen in Butscha seien „inszeniert“. Außenminister Sergei Lawrow behauptete, die Videoaufnahmen trügen „Zeichen von Fälschung und Manipulation“. Und Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte: „Der zeitliche Ablauf der Ereignisse passt nicht zu den Vorwürfen.“
Das allerdings gilt viel mehr für die russische Darstellung. Der zufolge könnten die Toten von Butscha nicht von russischen Soldaten getötet worden sein, da diese die Kiewer Vorstadt bereits am 30. März verlassen hätten und die Leichen dort erstmals am 3. April gefilmt worden seien. Die britische Investigativplattform „Bellingcat“ verweist hingegen darauf, dass russische Medien noch am 1. April behauptet hätten, Butscha und andere Frontstädte bei Kiew zu halten.
Ukrainische Truppen rückten am Morgen des 1. April in Butscha ein; die russischen Soldaten sollen am Vorabend abgezogen sein. Die ersten Videos von Leichen in Butscha zirkulierten am 1. April: Aufnahmen aus fahrenden Autos auf einer Straße, an deren Rand Tote zu sehen waren. Zwei Tage später wurden die ersten Journalisten in die Stadt gelassen und filmten dieselben Leichen; seitdem gehen die Bilder um die Welt.
Satellitenbilder zeige Menschenkörper
Am Montag wurde bekannt, dass Satellitenaufnahmen der fraglichen Straße in Butscha bereits am 19. und 21. März die Leichen am Straßenrand zeigen. Die Analyse weiterer Aufnahmen habe gezeigt, dass die Körper später nicht bewegt worden seien, so die New York Times unter Berufung auf Aufnahmen eines Aufklärungssatelliten der Firma Maxar. Aufnahmeserien aus dem Zeitraum vom 9. bis 11. März würden zeigen, dass in diesem Zeitraum erstmals Objekte von der Größe menschlicher Körper an den Straßenrändern auftauchten,.
In prorussischen Kanälen wird ferner behauptet, einige der Leichen von Butscha würden sich auf den aus Autos heraus aufgenommenen Videoaufnahmen bewegen. Wie zahlreiche Analysten nachgewiesen haben, handelt es sich bei den angeblichen Bewegungen um der Autofahrt geschuldete Bildverzerrungen im Seitenspiegel oder infolge von Wassertropfen auf der Windschutzscheibe. (mit afp, rtr)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker