Massaker an Algeriern vor 60 Jahren: „Unverzeihliche Taten“
Frankreichs Präsident äußert sich zum Gedenken an den 17. Oktober 1961 eindeutig. Doch ob die Opfer das als Entschuldigung akzeptieren, ist zweifelhaft.
Vor 60 Jahren, wenige Monate vor dem Ende des Unabhängigkeitskriegs, hatte die algerische Befreiungsbewegung FLN zur einer behördlich untersagten Kundgebung gegen ein diskriminierendes Ausgehverbot in Paris aufgerufen. Die Polizei hatte den Befehl, sie um jeden Preis daran zu hindern.
Das Ergebnis war ein Massaker mit einer bis heute unbekannten Zahl von Toten. Offiziell wurden später drei Todesopfer erwähnt, die Schuld für die Gewalt wurde den Organisatoren des Protests gegeben. Die Wahrheit wurde vertuscht. Erst die Arbeiten des Historikers Jean-Luc Einaudi verdeutlichten, dass 1961 die französischen Behörden das bis dahin schlimmste Massaker der Nachkriegszeit in Europa organisiert hatten. Dutzende von Algeriern wurden zu Tode geprügelt, erschossen oder in die Seine geworfen, wo ihre Leichen oft erst Wochen später auftauchten. Einaudi schätzt die Zahl der Toten auf mehr als 200.
„Die Repression war brutal, gewaltsam, blutig“, heißt es im heutigen Kommuniqué der französischen Präsidentschaft. „12.000 Algerier wurden festgenommen und in das Sportstadium Coubertin und andere Anlagen transferiert. Es gab zahlreiche Verletzte, mehrere Dutzend wurden getötet oder einfach in die Seine geworfen. Viele Familien haben den Leichnam ihrer in jener Nacht verschwundenen Angehörigen niemals gesehen.“
Relativierung durch vermeintliche Einordnung
Immerhin nennt Macron den Namen des damals zuständigen Polizeipräfekten Maurice Papon, der die Einsatzbefehle und seinen Leuten quasi einen Blankoscheck für eine ungezügelte Gewalt gegen die „Français Musulmans d’Algérie“ (so der damalige Sprachgebrauch) gab. „Frankreich erkennt die eindeutig belegte Verantwortung an“, sagte im Weiteren Macron, der in sein Gedenken alle Opfer des Krieges und der „von allen Seiten begangenen Verbrechen“ einschließt. Es soll also nicht von einer einseitigen Schuld des französischen Staates die Rede sein.
Auch ein Teil der französischen Medien versucht die Schuld an diesem Staatsverbrechen durch den damaligen Kontext zu relativieren: Die FLN habe ja ihrerseits bei Anschlägen Polizisten getötet und Morde an Mitgliedern der rivalisierenden Bewegung MNA verübt. Opfer und ihre Angehörige erwarten seit Jahrzehnten vergeblich eine Entschuldigung der Staatsführung in Paris. Doch ob die Worte Macrons dafür genügen? Für Mehdi Lallaoui, den Vorsitzenden der Vereinigung „Au nom de la Mémoire“, bleibt die Entschuldigung des Präsidenten im Namen der Republik ungenügend: „Er benennt weder den (damaligen) Innenminister noch den Premierminister.“
Allein schon die Frage, ob und wie sich Frankreich heute zur Schuld an der „blutigen Repression“ (so François Hollande 2012) bekennen soll, irritiert in Frankreich die politische Rechte, die sich über antikoloniale Reuebekenntnisse empört. Auch das ist Teil der gegenwärtigen Spannungen zwischen Paris und Algier. Der algerische Staatschef Abdelmadschid Tebboune nimmt in diesem Kontext Macrons Worte zur Kenntnis, wünscht aber, dieses schwarze Kapitel der Geschichte müsse „frei von der Arroganz des vorherrschenden kolonialen Denkens“ aufgearbeitet werden. Er ordnete in Algerien eine jährliche Schweigeminute für die Opfer des 17. Oktober an.
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