piwik no script img

Martin Schirdewan über Neuausrichtung der Linken„Es wird kein Weiter so geben“

Mit Janine Wissler soll Martin Schirdewan die Linke aus der Krise führen. Der Parteitag habe eine Richtungsentscheidung getroffen, sagt er.

Hat ein gutes Gefühl – Neuer Co-Vorsitzende der Linken Martin Schirdewan Foto: Martin Schutt/dpa

taz: Herr Schirdewan, Sie sind neuer Parteichef der Linkspartei. Wird jetzt alles wieder gut?

Martin Schirdewan: Die Weichen sind gestellt. Der Parteitag hat mit großer Mehrheit dafür votiert, dass wir jetzt die Selbstbeschäftigung beenden und die Brot-und-Butter-Themen einer modernen sozialistischen Gerechtigkeitspartei ins Zentrum unserer politischen Arbeit stellen.

Warum geht es der Linkspartei denn so mies?

Ein Gutteil der Krise ist tatsächlich hausgemacht. Das stimmt mich aber optimistisch, dass wir aus der Krise wieder rauskommen. Wenn wir die Selbstbeschäftigung beenden, werden wir es schaffen, mit einer Stimme unsere politischen Themen wie Mietendeckel, Energiepreise, Übergewinnsteuer und das Ende der Nahrungsmittelspekulation ins Zentrum zu stellen und dafür sorgen, dass unsere Mitglieder wieder stolz am Infostand für Die Linke werben.

Bild: dpa
Im Interview: Martin Schirdewan

geboren 1975, steht seit dem Erfurter Parteitag im Juni 2022 gemeinsam mit Janine Wissler an der Spitze der Linkspartei. Der in der DDR aufgewachsene Politikwissenschaftler gehört seit 2017 dem EU-Parlament an und ist dort Vorsitzender der Linken-Fraktion. Er gehört zum Reformerlager der Partei.

Und das ändert sich jetzt mit der neuen Parteispitze? War die alte so unfähig?

Der Parteitag hat klar signalisiert: Es wird kein Weiter so geben. Was früher falsch gelaufen ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich noch nicht in der Parteispitze war. Aber klar ist: Wir müssen ein politisches Zentrum in der Partei etablieren, dass unsere politischen Schwerpunkte definiert. Wir erwarten eine Kaufkraftkrise, die gerade Leute mit niedrigem Einkommen treffen wird. Einkommensschwache Familien können ihre Rechnungen nicht mehr zahlen. Wir müssen endlich wieder die Stimme jener sein, die am stärksten von den sozialen Ungerechtigkeiten betroffen sind.

Gehören zu diesem Zentrum auch Sevim Dağdelen und Sahra Wagenknecht?Wir haben eine gewisse Bandbreite in der Partei. Parteitage sind dazu, da Richtungsentscheidungen zu treffen und das haben wir sehr deutlich getan. Jetzt geht’s darum, dass die Führungskräfte in Partei, Fraktion und Landesverbänden in eine Richtung laufen.

Bei der Wahl des Bundesgeschäftsführers haben Sie und ihre Co-Vorsitzende Janine Wissler nicht ihren Kandidaten durchgesetzt, sondern einen, der Fraktionschef Dietmar Bartsch nahesteht. Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit vor?

Der Parteitag hat eine souveräne Entscheidung gefällt. Ich kann mir mit Tobias Bank eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorstellen. Er ist Mitglied des Parteivorstandes und ein anerkannter Kommunalpolitiker. Nach dem Parteitag geht es jetzt darum, gemeinsam in die Partei zu wirken. Ich habe ein gutes Gefühl.

Sie sind Vorsitzender der Linken-Fraktion im Europaparlament. Bleiben Sie das?

Mein Mandat in Brüssel werde ich behalten. Meine künftige Rolle dort werde ich mit den Kolleginnen und Kollegen dort besprechen. Ich werde mit 100 Prozent Leidenschaft und Einsatz Parteivorsitzender der Linken sein.

Die Linkspartei war sich bislang bei zentralen Themen wie Migration, Corona oder Klimapolitik uneins. Bei Europa auch. Soll die Linkspartei EU-freundlich sein – oder die EU als Agentur des Neoliberalismus bekämpfen?

Wir brauchen eine europapolitische Debatte und Klarheit. Das hat uns vor der letzten Europawahl gefehlt. Wir werden bis zur nächsten Wahl 2024 ein einheitliches Profil haben.

Aber manche wollen die EU abschaffen, andere die Vereinigten Staaten von Europa. Wie soll das zusammen gehen?

Wir kritisieren den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der die Investitionen verhindert, die wir für den sozialökologischen und sozialdigitalen Wandel brauchen. Wir kritisieren die europäische Agrarpolitik, weil die die großen Agrobusiness-Betriebe bevorzugt. Wir fordern eine Demokratisierung der europäischen Entscheidungsprozesse, ein Initiativrecht für das Europäische Parlament. Wir werden sowohl unsere positiven Vorschläge als auch unsere Kritik konkretisieren müssen.

Also ein proeuropäischer Reformkurs?

Ein an den Realitäten orientierter Kurs. Die EU ist Realität. Der Brexit hat bei vielen europäischen Linksparteien, die sehr EU-kritisch waren oder auch einen EU-Austritt gefordert haben, zu radikalem Umdenken geführt. Eine Rückkehr zum Nationalstaat ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die einfachen Leute sehr, sehr teuer. Wer das nicht sieht, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Auf dem Parteitag gab es scharfe Abgrenzung von den Grünen, denen auch Sie vorgeworfen haben, nur an Waffenlieferungen zu denken. Sind die Grünen der neue Hauptfeind der Linkspartei?

Nein, die Linke kritisiert als sozialistische Oppositionspartei die Regierungspolitik. Die Grünen sind Teil dieser Regierung. Sie tragen auch den Tankrabatt mit, den die FDP durchgesetzt hat, oder das Entlastungspaket, dass die Hälfte der Bevölkerung vergisst. Wenn die Ampel ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht wird, dann treten wir ihnen auf die Füße. Damit sie anfangen, Politik für die Mehrheit der Bevölkerung zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • „Ein Gutteil der Krise ist tatsächlich hausgemacht.“ Da bin ich jetzt überrascht. Ein Gutteil? Der Neoliberalismus galoppiert fröhlich weiter, rechte Brandstifter wie Trump werden Staatsoberhaupt in einem demokratischen Land.



    Wir brauchen dringender denn je eine starke, linke Partei. Aber die Linke schafft es nicht bei all den Themen die anliegen Wähler zu gewinnen.



    Und warum ist das so? Weil man anstatt mit einander zu reden um einen Kompromiss zu finden den dann alle tragen, lieber alle reden lässt.



    Und so kommt es dazu, dass die Linke bei ein und demselben Thema mindestens 2 unterschiedliche Standpunkte hat, die von jeweiligen prominenten Gesicht dieser Parteiströmung als Kurs der Linken propagiert wird.



    Die Linke ist gegen den Krieg in der Ukraine. Da hört es dann aber schon auf mit den Gemeinsamkeiten.



    Putin muss Einhalt geboten werden, Putin verteidigt sich nur, der Westen muss helfen, der Westen / die NATO muss sich muss sich raushalten, die NATO hat den Krieg provoziert, das ist doch eigentlich gar kein Krieg…



    Die Vesprechungen eines Neuanfangs der die Fehler der Vergangenheit korrigiert, das hatten auch Wissler und Hening-Wellsow, Lötzsch und Ernst und Bisky und Lafontaine versprochen.



    Mal sehen ob diesmal was draus wird.



    Ich weiß die Linke sieht die USA eher kritisch, aber ein Zitat von Abraham Lincoln sollte sie sich zu Herzen nehmen.



    „Ein in sich gespaltenes Haus kann keinen Bestand haben.“

  • Sorry. Wie soll das alles funktionieren, wenn er nicht zu 100% Parteivorsitzender sein will?



    In dieser Lage der Partei?



    Wenn es das nicht will oder kann, soll er es bleiben lassen.

    • @Nansen:

      Er sagte, dass er das mit seinen KollegInnen besprechen will, wie das funktionieren soll. Dann wird man sehen. Einer Frau Strack-Zimmermann wirft auch keiner vor, dass sie sich im Bundestag nicht ausreichend einbringen kann, weil sie zu viel mit den Vorständen von Rheinmetall zu tun hat. Ich glaube, sie kann das gut unter einen Hut bringen ;-)

      • @Jalella:

        Frau Strack-Zimmermann gehört ja auch einer Partei an, die der Meinung ist, dass es allen besser geht, wenn nur alle richtig egoistisch sind.

        Aber guter Punkt😁

  • ...Mein Mandat in Brüssel werde ich behalten...



    Bei 100 Prozent Leidenschaft und Einsatz als Parteivorsitzender der Linken finde ich Martin Schirdewan hätte diese Sicherungstür zumachen können.



    Zum Thema Sevim Dağdelen und Sahra Wagenknecht u.a. finde ich die Aussage -wolkig-!



    Die haben ihre "U-Boote" bestimmt schon mit neuen Zielkoordinaten versehen und losgeschickt.



    Einen Versuch mit Martin Schirdewan könnte etwas bringen!?



    --------------------------------------------------------------



    Abteilung Klatsch und Tratsch



    Diese eventuelle, mögliche Coronainfektion von S. Wagenknecht halte ich für eine Absagevariannte.



    Sie hat Gewinnabwägung betrieben und festgestellt das wird nichts!

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    Schirdewan""Der Parteitag hat eine souveräne Entscheidung gefällt.



    Der Parteitag hat eine souveräne Entscheidung gefällt.



    Der Parteitag hat eine souveräne Entscheidung gefällt.



    Der Parteitag hat eine souveräne Entscheidung gefällt.""

    ==

    Wagenknecht vorgelegter Änderungsantrag sah unter anderem die Streichung der Formulierung vor, dass Russland "imperialistische Politik" betreibe und betont die Mitverantwortung der Nato zum Ukraine-Krieg.

    Stundenlang wurde diskutiert - auch ohne Wagenknecht - inwieweit der Westen?/Nato?/EU? mitverantwottlich sind für das erbarmungslose Schlachten Russlands der Ukrainer und für die die Zertrümmerung ukrainischer Städte und Dörfer.

    Der aufgesetzte pseudo-interlektuelle Anstrich dieser Parteitagsdebatten konnte nur unschwer verbergen, das es sich im Kern um das Wiederkäuen russischer Propaganda handelte.

    Klartext:



    Das einzige was jetzt noch helfen würde sind Stoßgebete.



    Oh lieber Gott, bitte lass es Hirn regnen.

  • Wenn die Linke das jetzt echt so macht, dann finde ich das gut. Realistische Kritik, realistische Pläne.

    Und bitte keine Flügelkämpfe in der Presse. Ich wähle die, weil ich Linke Politik will, nicht weil ich ihre Hennen und Hahnenkämpfe geil finde.