Martin Reeh über die Strategiedebatte der Linkspartei: Zu devot für Rot-Rot-Grün
Wenn die Linkspartei bei den sozial Abgehängten wieder gewinnen will, müsste das nicht allzu schwierig sein. Sie könnte, ähnlich wie die SPD nach der letzten Bundestagswahl, zwei oder drei Sachthemen als Voraussetzung für eine rot-rot-grüne Koalition benennen: etwa eine deutliche Erhöhung von Hartz IV und der gesetzlichen Rente. Dazu eine bessere Mietpreisbremse, wie sie Justizminister Heiko Maas (SPD) jetzt schon will, aber mit der Union nicht durchsetzen kann.
Das macht die Linke aber nicht. Stattdessen schreibt sie Papiere, in denen viel Richtiges steht, die aber an der Kernfrage vorbeizielen: Warum ist sie in Koalitionsverhandlungen auf Landesebene bisher so devot gewesen, dass für ihre Wähler kaum etwas heraussprang? Und wie will sie das in Zukunft vermeiden?
Dazu gehört zunächst einmal eine Bestandsaufnahme: Sozialpolitik hat ausgerechnet in der Linken einen schweren Stand. Der Reformerflügel tickt wie rechte Sozialdemokraten, die in Zeiten knapper Kassen eben Austeritätspolitik betreiben. Der linksradikale Flügel interessiert sich vor allem für Außenpolitik. Der Gewerkschaftsflügel ist vergleichsweise schwach. Ein Mentalitätswechsel, der sozialpolitische Themen stärker auf die Agenda setzen würde, gelingt schon deshalb nicht, weil die guten Umfragewerte auf Bundesebene noch zu viel Status-quo-Denken zulassen.
Das Berliner Wahlergebnis dürfte diese Bequemlichkeit noch verstärkt haben: Es befördert Linken-Träume, die Abgehängten im Osten durch postmaterialistische Wähler im Westen zu ersetzen. Selbst wenn das für die Linkspartei bundesweit Gewinne bringen sollte, wird Rot-Rot-Grün damit nicht wahrscheinlicher. Denn die Postmaterialisten gewinnt die Linke von den Grünen, also im eigenen Lager, die Abgehängten aber wandern zur AfD. Die Frage, wie man sie zurückgewinnt, ist offen: In der letzten Umfrage liegt Rot-Rot-Grün 9 Prozentpunkte hinter Union, FDP und AfD.
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