Martin Reeh über SPD und Steuerüberschüsse: Kurzfristige Wahlgeschenke
Drei große Themen gibt es, die vielen Deutschen Angst machen: steigende Mieten, Altersarmut, Pflege. Wer sie angehen will, müsste dafür hohe Summen öffentlicher Gelder in die Hand nehmen, ebenso, wie man es – viertens – für eine gemeinsame Investitionspolitik in der Eurozone tun muss. Wer einen Gerechtigkeitswahlkampf für Deutschland und Europa führen will, sollte also zunächst über diese Aufgaben sprechen – und dann darüber, wie man sie finanzieren kann. Steuerentlastungen wären sekundär.
Angesichts der Steuerüberschüsse stehen die Chancen besser als früher, die vier Themen wenigstens einigermaßen angehen zu können. Stattdessen treiben Union und FDP die Sozialdemokraten in diesem Vorwahlkampf mit der Debatte um Steuerentlastungen vor sich her. Am Montag will nun Kanzlerkandidat Martin Schulz das Steuerkonzept der SPD verkünden. Ersten Verlautbarungen zufolge will er Entlastungen für untere und mittlere Einkommen vorschlagen.
Dafür mag es gute Gründe wie die Steuerprogression geben. Sicher kann man auch darauf setzen, Geringverdiener zu entlasten und Spitzenverdiener stärker zur Kasse zu bitten. Aber da derzeit vieles auf eine erneute Große Koalition nach der Bundestagswahl hindeutet, könnte davon am Ende bleiben, dass geringe und mittlere Einkommen entlastet werden, die höheren aber nicht stärker belastet. Womit ein Ausbau des öffentlichen Wohnungsbaus, der Rente, Pflege oder des europäischen Zusammenhalts nicht finanzierbar wären. Bei den Beziehern unterer Einkommen in den Großstädten dürften die paar Euro, die sie durch geringere Steuern dazubekommen, zudem von Mietkosten wieder aufgefressen werden.
Ob die SPD noch in der Lage ist, ein konsistentes Programm für einen großen Gerechtigkeitswahlkampf zusammenzufügen? Gerade sieht es so aus, als würde es bei ein paar Steuer- und Sozialabgabengeschenken für kurzfristig denkende Wähler bleiben.
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