Martin KraussLinker Haken: Die Arischen versohlen
Zu den, ich drücke es mal falsch aus, Schätzen in meinem Regal gehört das Buch „Deutscher Faustkampf nicht pricefight. Boxen als Rasseproblem“. Es ist, man ahnt es, 1936 erschienen. Autor ist Ludwig Haymann, das Vorwort steuerte Max Schmeling bei. Schmeling und Haymann waren einmal sportliche Konkurrenten. 1928 hätte Schmeling seinen Titel als Deutscher Meister gegen Haymann verteidigen sollen, doch wegen einer Handverletzung, die ihm niemand glaubte, sagte er ab. Der Schriftsteller Erich Kästner kommentierte: „Er hat also den deutschen Meisterschaftstitel abgegeben, um seine verletzte Hand für die amerikanischen Dollar zu pflegen.“
Haymann wurde Sportjournalist, und zwar im Völkischen Beobachter, und er schrieb eine Theorie des „arischen Faustkampfs“. Deutsches Boxen sei eine „naturgegebene Kampfart“. Die Briten etwa verfolgten die „noble art of defense“, die Amerikaner den „wirbelwindartigen, tempogeladenen Nahkampf“, aber diese „Ausländerei“ liege den Deutschen nicht. Schmeling jedoch stehe für eine „in Temperament und Volkstum wurzelnde Kampfform“.
Haymann formulierte aus dieser gequirlten Kacke ein sportpolitisches Programm. „Wenn wir Deutschen erst einmal in der Lage sind, jede Sportart in diesem Sinne gefühlsmäßig zu erlernen und kämpferisch auszuüben, dann ist die Zeit nicht mehr ferne, da wir im Sport den unserem Volke entsprechenden ersten Platz erobern werden.“ 1934 war der US-Amerikaner Max Baer Weltmeister. Der galt als Jude, und der hatte im Juni 1933 Max Schmeling k.-o.-geschlagen. Doch Baer blieb interessant. Der Hamburger Boxpromoter Walter Rothenburg wollte einen WM-Kampf Baer–Schmeling. „Es war kein Geheimnis mehr: Deutschland war auf dem besten Weg, Amerikas Boxmonopol zu brechen“, schrieb Rothenburg in seinen Erinnerungen. Baers Manager forderte die unglaublich hohe Summe von 300.000 Dollar. In den USA, so überlegte sich Rothenburg, könnte Baer eine solche Forderung nie durchsetzen. Also, so sein Gedanke, könnte der Kampf in Europa stattfinden. „Das allein war das Geld wert“, freute sich Rothenburg. Nahe Amsterdam sollte eine Freiluftarena gebaut werden, Max Baer musste nur noch in den USA seinen Titel gegen einen gewissen Jimmy Braddock verteidigen. Aber Baer verlor.
1936 boxte Max Schmeling gegen Joe Louis, das aufstrebende Boxgenie aus den USA. Der Sieger sollte das Recht haben, den Überraschungsweltmeister Braddock herauszufordern. Schmeling gewann und die Nazis, die in Schmeling ihren „arischen Boxer“ sahen, tickten aus. Mit Braddocks Management wurde verhandelt, der Kampf sollte in Berlin stattfinden. Ein wenig bremste das Propagandaministerium noch. „Was die Frage des Weltmeisterschaftskampfes betrifft, so sollen die Meldungen, der Kampf werde im September auf dem Reichssportfeld ausgetragen werden, noch nicht übernommen werden“, schrieb das Ministerium an Redaktionen.
Doch auch dieser Kampf kam nicht zustande. Braddock verkündete, er habe eine Handverletzung. Ein Trick, den Schmeling noch aus dem Jahr 1928 kannte. Die Nazi-Boxpläne drohten zu scheitern, zumal nicht Schmeling, sondern Joe Louis 1937 gegen Jimmy Braddock Weltmeister wurde. Ein WM-Kampf Schmelings gegen Louis fand 1938 statt, aber der Repräsentant der „in Temperament und Volkstum wurzelnden Kampfform“ wurde in 124 Sekunden zusammengekloppt.
Vielleicht sollte ich meine Bibliothek mal neu ordnen. Ein paar Bücher können auch nach hinten.
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