Marta Vieira da Silva: Die Königin, die aus der Hölle kam
Marta spielt für Brasilien ihre letzte WM. Sie wird als eine der besten Fußballerinnen in die Geschichte eingehen – und als eine der politischsten.
Sie war da, als das Spiel der Frauen die Nische der Belächelten verlassen hat. Und sie ist immer noch da, heute, in den Tagen, in denen sich der Frauenfußball zu lange unvorstellbaren Höhen aufschwingt. Marta Vieira da Silva, kurz Marta, spielt in Australien und Neuseeland ihre sechste Weltmeisterschaft. Es wird ihre letzte sein. 37 Jahre ist sie nun alt. 21 war sie, als sie 2007 das Weltturnier in China gerockt hat.
Das Finale hat sie mit Brasilien zwar gegen Deutschland verloren, aber auch in dieser letzten Partie des Turniers war sie der Mittelpunkt des Spiels. Heute machen andere das Spiel, für Marta ist keine Hauptrolle mehr vorgesehen. Vorsehen sollten sich die Gegnerinnen dennoch vor ihr. Sie kann immer noch mehr als andere.
2007 ist die Fußballwelt vor ihr in die Knie gegangen. Ihre technischen Fertigkeiten, ihr Überblick auf dem Platz, ihr Biss, ihre Schusskraft und ihr schier grenzenloses Selbstvertrauen wurde gefeiert. Die Welt, die es gewohnt war, dass nur Männer kicken können, dachte sich einen Spitznamen für sie aus. „Pelé im Rock“. Oh je! Heute hat sie längst einen anderen Heldinnennamen: „A Rainha“, die Königin, ganz einfach. Als solche bezeichnet sie auch Pia Sundhage, die Trainerin, die Brasilien so gerne zum ersten Titel für die Fußballnation führen möchte. Sie ist die Ikone. Es ist einfach ansteckend, in ihrer Nähe zu sein.“
Als Königin wurde Marta gewiss nicht geboren. Sie wusste früh, dass sie mehr sein muss als eine gute Fußballerin, um ein Erbe zu hinterlassen. Schon als 21-Jährige bei der WM in China sandte sie mit Tränen im Gesicht eine Botschaft in die Welt hinaus. „Ich bin durch die Hölle gegangen. Ich hoffe, dass sich das alles mit unseren Erfolgen ändert.“
Alle sollten bald ihre Geschichte kennen. Mit 14 hat sie sich aus ihrer kleinen Heimatgemeinde aufgemacht, um Fußballerin zu werden. Gegen den Willen ihrer Eltern ist sie nach Rio de Janeiro gezogen, um Fußball spielen zu können. Das war der Weg durch die Hölle. Einem Mädchen wie ihr stand es nicht zu, zu werden, was sie möchte.
Vorbild Marta
Bei dieser WM finden sich in etlichen Kadern Geschichten vom frühen Ausbruch aus der traditionellen Welt in den Fußball. Im Team von Costa Rica etwa spielt die 21 Jahre junge Priscila Chinchilla. Die war 13, als sie ihren Eltern mit dem Wunsch überrascht hat, die Provinz Richtung Hauptstadt San José zu verlassen, um Fußballerin zu werden. Seit sie 19 ist, spielt sie in Schottand bei Glasgow City. Der dortigen Sunday Post hat sie erzählt, dass sie gar nicht wusste, wo das eigentlich liegt, dieses Schottland. Gut möglich, dass eine gute Portion Marta in ihren Lebensentscheidungen steckt.
Als Antreiberin neuer Generationen von Fußballerinnen ist Marta vor vier Jahren bei der WM in Frankreich in den sozialen Medien gefeiert worden. Brasilien hatte gerade mit 1:2 nach Verlängerung gegen Frankreich verloren, da setzte Marta zu einem Aufruf an, der bis heute nachhallt. Sie forderte die Mädchen dieser Welt auf, es ihr gleichzutun. „Du musst erst Tränen vergießen, damit du am Ende lachen kannst“, predigte sie. Und: „Das Überleben des Frauenfußballs hängt von euch ab.“
Ihr Karriereweg, der sie von Brasilien nach Europa geführt hat, wo sie in Schweden bei Umeå IK zur viel bestaunten Bestverdienerin im Fußball wurde, geht demnächst wohl in den USA zu Ende. In der National Womens Soccer League steht sie bei Orlando Pride unter Vertrag. Vor den USA aus hat sie mit einer Leichtigkeit gegen all die Verächter des Frauenfußballs gekämpft, die es in ihrer Heimat Brasilien immer noch gibt. Jair Bolsonaro ist einer dieser Lieblingsgegner von Marta.
Die beste und der andere
Als die Stürmerin 2019 für ihr 17. Tor bei einer WM gefeiert wurde und alle Welt gratuliert hat, dass sie den Rekord von Miroslav Klose übertroffen hat, war das dem damaligen Präsidenten des Landes nicht der Rede wert. Dabei trieb sich jener Jair Bolsonaro in den Tagen der WM fleißig in der Fußballwelt herum – in der der Männer. Und als der nunmehr abgewählte Rechstpopulist über die Forderung nach gleicher Bezahlung von Fußballerinnen und Fußballern witzelte, da bastelte Marta eine Instagram-Story mit den Worten: „Es gibt solche, die als die besten in die Geschichte eingehen, und es gibt andere …“
Es ist auch ihr Engagement, das sie zur Ikone hat werden lassen. Mit der schmücken sich auch die Vereinten Nationen. Marta ist UN-Botschafterin für Frauen im Sport, und Jair Bolsonaro wird es nicht gefallen haben, dass sie in dieser Rolle auf die besonderen Gefahren für Frauen hingewiesen hat, wenn sie vorm Klimawandel gewarnt hat. Ihr Privatleben stellt sie nicht aus, selbst wenn sie weiß, dass auch das politisch gelesen wird. Im Januar 2021 hat sie die Verlobung mit Toni Pressley, ihrer Teamkameradin bei Orlando Pride, verkündet. Derzeit lässt sie die Leute rätseln, mit wem sie zusammen ist.
Sie scheint das Spiel mit der Öffentlichkeit ganz gut zu beherrschen. Werbepostings für Lippenstift oder Kartoffelchips wechseln sich mit scheinbar privaten und wirklich politischen Botschaften auf ihrem Instagram-Account ab. Das darf man als hochprofessionell bezeichnen. Das passt alles ganz gut. Wie selbstverständlich sah es dann auch aus, als sie im Kreise der brasilianischen Auswahl das Flugzeug verlassen hat, mit dem das Team in Australien gelandet war.
Mit einer eindrucksvollen Botschaft waren die Brasilianerinnen gelandet. „Keine Frau sollte gezwungen werden, ihren Kopf zu bedecken“, stand in großen Lettern auf dem vom Verband gecharterten Flugzeug. Und: „Kein Mann sollte gehängt werden, weil er das sagt.“ Dazu war das Bild von Mahsa Amini zusehen, jener jungen Kurdin, die im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei ums Leben gekommen ist. Ein anderes zeigte den iranischen Fußballer Amir Nasr Azadan, der zu 26 Jahren Haft verurteilt wurde, weil er die Proteste gegen das Mullahregime unterstützt hatte.
Niemand würde auf die Idee kommen, dass ihr derartige Auftritte die Konzentration für das Spiel rauben könnten. Martas Botschaften gehören zu ihrem Spiel. Und so war jedes ihrer 17 WM-Tore auch politisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass