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Marsch auf die Barrikaden

Seit sechs Tagen blockiert die israelische Armee die Straße zwischen Bir Zeit und Ramallah. Während am Montag Palästinenser versuchten, die Sperre zu beseitigen, wurde ein Demonstrant erschossen. Die Arbeitspartei kritisiert die Abriegelung

aus Surda YASSIN MUSHARBASH

Aus beiden Richtungen strömen Demonstranten in Richtung Surda, einem 20-Häuser-Dorf auf halbem Wege zwischen der Stadt Ramallah, in der palästinensischen autonomen Zone, und dem palästinensischen Universitätsstädtchen Bir Zeit. Die Steine des Anstoßes liegen auf der Landstraße unterhalb des Dorfes: Drei Barrikaden aus Geröll, jede etwa einen Meter hoch, blockieren jeglichen Verkehr. „Am vergangenen Mittwoch, mitten in der Nacht, sind die israelischen Soldaten gekommen und haben die Straße aufgerissen“, berichtet Latifa Kh., eine 65 Jahre alte Palästinenserin. Direkt oberhalb ihres Hauses, auf einem Hügel, haben sie Quartier bezogen: mindestens zwanzig Soldaten, vier Jeeps, zwei Panzer, die Kanonen nach Ramallah ausgerichtet.

Von Bir Zeit her kommt ein Zug protestierender Studenten. „Ich bin Student, kein Terrorist!“, steht auf einem Plakat. Von der anderen Seite, aus Ramallah, nähern sich etwa dreihundert weitere Demonstranten. Die Linken tragen rote Fahnen, Hamas grüne. Schüler sind darunter, auch etliche Frauen. Jemand trägt ein Arafat-Porträt. Dazu ein Trupp von in der Westbank lebenden Ausländern, zumeist Europäer und Amerikaner. „Kein amerikanisches Geld für israelische Waffen“, fordert eines ihrer Transparente. Am häufigsten zu lesen ist der Satz: „Abriegelung bedeutet Apartheid!“

Bei den Barrikaden treffen sich die beiden Gruppen, begrüßen einander. „Rückzug, Rückzug!“ skandieren sie in Richtung der israelischen Soldaten. Es werden Reden gehalten. Drei Jugendliche heben Steine auf und machen Anstalten, auf zwei Militärjeeps zuzulaufen. „Zurück! Lasst das sein!“, ruft es aus der Menge. Das hier soll eine friedliche Demonstration werden. Die Jungen gehorchen und lassen die Brocken wieder fallen.

33 palästinensische Dörfer sind von ihrem regionalen Zentrum Ramallah abgekoppelt. Am Freitag hätten die Soldaten eine schwangere Frau zurückgewiesen, sagt der Apotheker Ghassan Abu Jamal. Die Lebensmittelhändler zählen die Tage, für die ihre Vorräte noch reichen. Bei keinem länger als eine Woche.

„Ist das etwa jüdische Menschlichkeit?“, ruft ein Demonstrant den Hügel hinauf. „Die Absperrung ist eine Kollektivstrafe, und wir wissen nicht einmal, wofür“, schimpft Muna Tamimi, die an der Bir-Zeit-Universität Englisch unterrichtet. Der Semesterbeginn ist wegen der Abriegelung ins Wasser gefallen, etwa 70 Prozent der 8.000 Studenten sind faktisch ausgesperrt.

Plötzlich werden die Parolen der Demonstranten von einem lauten Knattern übertönt. Mit Jubelrufen und Pfiffen wird eine Planierraupe begrüßt, die um die Ecke geschnauft kommt. Die palästinensische Autonomiebehörde hat sie geschickt. Ohne Umschweife beginnt der Fahrer damit, die erste israelische Barrikade niederzureißen. Die Demonstranten sind begeistert, springen auf die Raupe, tanzen auf dem Dach. Sie wollen an der Rückeroberung ihrer Straße Teil haben. „Friedlicher Widerstand und massenhafter Ungehorsam!“, ruft der Informatikstudent Khalil begeistert, „Nur so können wir gewinnen!“ Nach einer guten halben Stunde ist die Arbeit getan: Die Straße nach Ramallah ist wieder passierbar. Als das erste Fahrzeug über die geschleiften Barrikaden fährt, ein Krankenwagen des Roten Halbmondes, der zur Sicherheit herbeordert wurde, klatschen die Palästinenser laut Beifall. Ein Taxi folgt ihm, und noch eines. „Lasst die anderen auch kommen! Die Straße gehört wieder uns!“, ruft einer der Fahrer seinen Kollegen aus dem geöffneten Fenster heraus zu.

Oben auf dem Hügel, wo die Soldaten sitzen, steigt einer von ihnen aus seinem Jeep. Mit einem lauten Zischen fliegt wenig später die erste Tränengasgranate in die Menschenmenge unten. Jetzt kann keiner mehr die Jungen mit den Steinen zurückhalten. „Die Israelis haben angefangen“, entschuldigt sich einer, während er zu rennen beginnt. Soldaten eröffnen das Feuer auf ein halbes Dutzend Steinewerfer. Im Minutentakt wird Tränengas gefeuert. Nach etwa einer Stunde haben die Soldaten die Demonstranten auseinander getrieben. Krankenwagenfahrer mit Mundschutz transportieren die Verletzten ab. Die meisten leiden an Atemnot, einige erbrechen sich. Danach beginnt die zweite Rückeroberung dieses Tages. Ein israelisches Baufahrzeug setzt sich in Bewegung, flankiert von Jeeps. Minuten später ist der Straßenabschnitt mit den Barrikaden wieder unter israelischer Kontrolle. Keine freie Fahrt mehr nach Ramallah.

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