Marlene und der Schwan

Der Fotoarchivar Wolfgang Theis ist in seiner Freizeit Ausstellungsmacher im Berliner Schwulen Museum. Zum 100. Geburtstag von Marlene Dietrich präsentiert er den deutschen Weltstar als unangefochtenes Filmidol der schwul-lesbischen Gemeinde

„Das ist kein Trödel. Die Dinge habenalle eine Aura“,sagt TheisBesonders das Schwanenkleid sei ein „Bekenntnis zur Bisexualität“

von DOMENIKA AHLRICHS

Eigentlich ist er Koch, sagt Wolfgang Theis. Aber das ist lange her. 40 Jahre genau. Als Jugendlicher hat er damals in Stuttgart das Kochen gelernt. Jetzt ist er Fotoarchivar im Berliner Filmmuseum und nebenher Ausstellungsmacher im Schwulen Museum in Kreuzberg. Kein allzu großer Schritt vom Kochberuf, findet Theis: „Organisationstalent, Kreativität, ein Gespür für Zutaten – all das kann ich heute auch gut gebrauchen.“

Ein Mann mit Lachfältchen um die Augen, gestutztem grauem Vollbart und Halbglatze. Über dem Hemd trägt er eine fein gerippte blaue Weste zur Jeans. Wolfgang Theis rückt seine Lesebrille zurecht und fixiert eine gerahmte Fotografie. Hängt sie gerade? Ungefragt reicht ihm ein Mitarbeiter die Wasserwaage. „Hab ich’s mir doch gedacht“, sagt der Ausstellungsmacher und gibt dem Bild einen kleinen Schubs. Mehr als 200 Bilder hängen an den Wänden. Theis hat die erklärenden Texte zu jedem Foto selbst formuliert und getippt, denn er kennt sie alle.

Es sind die Aufnahmen aus dem Nachlass von Marlene Dietrich. Außer Filmkostümen, Alltagskleidung, Gemälden, Tondokumenten und zahllosen Briefen der Diva gingen rund 45.000 Fotos an das Land Berlin, als es 1993 den Besitz der Dietrich für über fünf Millionen Dollar erwarb. Wolfgang Theis hat jedes Bild schon einmal in den Händen gehalten. Fünf Jahre lang sortierte, recherchierte und archivierte er die Aufnahmen für die „Marlene Collection“ des Filmmuseums.

„Wenn ich das Gleiche mit Fotos von Heinz Rühmann hätte tun müssen, wäre ich verzweifelt“, sagt der Archivar und verdreht die Augen. Es gebe Ermüdungserscheinungen, wenn man sich mit einer Person über Jahre beschäftige. Mit der Dietrich ist es ihm nie langweilig geworden. „Vielleicht, weil ich schwul bin“, meint er. „Marlene ist ja das große Liebesobjekt von Schwulen und Lesben. Da bin ich vielleicht geduldiger.“ Nein, ein echter Fan sei er nicht. Aber er empfinde Sympathie für die Diva und verehre sie.

Eine Umfrage des Berliner schwul-lesbischen Stadtmagazins Siegessäule bestätigte jüngst, dass Marlene Dietrich das unangefochtene Filmidol der Hauptstadt-Homosexuellen ist. „Ihre Androgynität, ihr Changieren zwischen den Geschlechtern, macht sie so attraktiv“, vermutet Wolfgang Theis. Die Schauspielerin hatte Liebesbeziehungen zu Frauen und Männern. Spätestens seit ihrem Auftritt in Frack und Zylinder im Film „Morocco“ (1930) gilt sie als Verkörperung des weiblichen Bohemiens und Dandys: Lässig rauchend, beugt sich die Dietrich als Sängerin zu einer Frau im Publikum, erbittet von ihr ein Glas Champagner, trinkt es in einem Zug und bedankt sich mit einem Mundkuss.

Mit „Marlene und das Dritte Geschlecht“ präsentiert das Schwule Museum die Diva als Vorbild der schwul-lesbischen Gemeinde. Als Freundin der Homosexuellen ihrer Zeit. Wolfgang Theis hat entsprechende Fotos, Briefe und Kostüme ausgewählt. Natürlich habe der Filmstar auch und vor allem heterosexuelle Liebhaber gehabt, doch für die sei in anderen Ausstellungen genügend Raum. Im Schwulen Museum gibt es Bilder der Schriftstellerin Mercedes de Acosta, der Geliebten, die sie mit Greta Garbo teilte. „Du machst mich lebendig, in den wenigen Stunden, in denen ich mit Dir zusammen bin“, schrieb de Acosta an Marlene.

Claire Waldoff, der berühmten Berliner Lesbe der Zwanzigerjahre, ist eine ganze Wand gewidmet. Die Waldoff habe Marlene in einen neuen Stil des Gesangs und der Liebe eingeführt, meint Wolfgang Theis. Aufs Schildchen hat er gedruckt: „Viele glaubten, das Warum und das Wie verdanke Marlene der Claire Waldoff.“ Zu Fotos von einer Begegnung der Dietrich mit Hildegard Knef im Jahr 1960 bemerkt der Ausstellungsmacher: „Sie waren gute Freundinnen“, und lächelt. „Das lassen wir jetzt mal ganz unkommentiert.“

Starporträts aus allen Lebensphasen der Dietrich, eine Wand, lückenlos bedeckt mit Aufnahmen von Fans, Imitatoren, Freunden der berühmtesten Berlinerin. Ein Telefon aus ihrer Pariser Wohnung und ein Schwanenkostüm: Wolfgang Theis kennt die Geschichte eines jeden Ausstellungsstücks. Er habe sich der Dietrich in all den Jahren so weit genähert wie möglich, sagt er. Um den Nachlass archivieren zu können, hat er Biografien gelesen und sich mit Dietrichs Tochter, Maria Riva, unterhalten. Ein Drittel der Fotos stammt von den Filmaufnahmen der Diva. Das ist Theis’ eigentliches Metier. Schon während der ehemalige Koch in Berlin studierte, interessierte er sich vor allem für Film. Dass er damals Werner Sudendorf, den heutigen Leiter der Sammlungen im Filmmuseum, kennen lernte, kam Theis wie gerufen. Sudendorf hatte einen Job für ihn, und so wurde 1985 sein Hobby zum Broterwerb.

„Als das Schwanenkostüm aus der Kiste hervorlugte, habe ich gejubelt“, erzählt Theis. Überhaupt, das Öffnen des Dietrich-Nachlasses sei wie Weihnachten gewesen. „Das ist kein Trödel. Die Dinge haben alle eine Aura.“ Mit seitwärts geneigtem Kopf betrachtet er das lange, schwanenfedergeschmückte weiße Kleid in der Vitrine. Am Kragen streckt ein kleiner Schwan.

Marlene Dietrich trug das Kostüm zu einem Fest, bei dem jeder als seine am meisten verehrte Person auftrat. Die Dietrich war „Leda mit dem Schwan“, die griechische Sagenfigur, die der Gott Zeus in Vogelgestalt schwängerte. Ein Sinnbild der Erotik. Der Ausstellungsmacher hält dies für das „vielleicht nachdrücklichste Bekenntnis zur Bisexualität“ des Weltstars.

An Dietrichs Arm schritt damals die englische Schauspielerin Elizabeth Allan, in Frack und Zylinder verkleidet als Marlene. Auch dieses Kostüm hat Theis für seine Ausstellung erhalten. Kostenlos. Anders hätte er es sich gar nicht leisten können.

Während seines Studiums hat Theis im damaligen Berlin Museum (heute Stiftung Stadtmuseum) gearbeitet und dort Ausstellungserfahrung gesammelt. Bald wagte er sich an seine erste eigene Schau im Schwulen Museum. Seither hat er unter anderem Anita Berber, die erste Nackttänzerin der Weimarer Republik, den Stummfilmstar Conrad Veidt („den haben wir eingemeindet, weil er einen Schwulen gespielt hat, ohne schwul zu sein“) und den Autor Oscar Wilde zu dessen 100. Geburtstag mit Ausstellungen gewürdigt. Dank Publikumserfolg und immer professionelleren Konzepten hat sich das Schwule Museum mittlerweile einen guten Ruf in der Berliner Museumslandschaft erarbeitet.

Sympathie und Unterstützung für jede Ausstellung seien ihnen mittlerweile sicher, sagt Theis. Konkret bedeutet das für den Kurator, dass er Leihgebühren sparen kann, wo andere viel zahlen müssten. Die Glasvitrinen habe die Stiftung Stadtmuseum zur Verfügung gestellt. Der Ausstellungsmacher ruckelt ein bisschen an den Scharnieren und stellt dann befriedigt fest: „Alles dicht. Das ist original DDR-Design.“

Die Dietrich-Devotionalien wie Kostüme, Fotos und Alltagsgegenstände hat das Filmmuseum geliehen. Die Doppelrolle als Fotoarchivar und Ausstellungsmacher zahle sich für ihn aus, meint Theis mit einem Augenzwinkern. Als Beschäftigter im öffentlichen Dienst erhalte er ein dreizehntes Monatsgehalt. „Dieses Weihnachtsgeld geht komplett für die Ausstellung drauf.“

„Wunderschöne Bilder“, schwärmt Theis „Hier, das werden Sie lieben. Ist das nicht schön unanständig?“ Marlene Dietrich trägt auf dieser Aufnahme einen üppigen Pelzkragen, der ihr Dekolletee oval umrahmt und dann spitz zuläuft. „Aber jetzt mal ehrlich: Wir haben vor 16 Jahren angefangen, das Projekt ‚Schwules Museum‘ aus der Taufe zu heben. Nun wollen wir es irgendwann in die Mündigkeit entlassen.“

Ein eigenes Haus, eine Stiftung, die Gehälter zahlt, und eine Dauerausstellung, um das gesammelte Material besser zugänglich machen zu können, stehen auf der Wunschliste. Durch Ausstellungen etabliere sich das Museum in der Berliner Kulturlandschaft und erhöhe in der Öffentlichkeit die „Akzeptanz für andere Lebensentwürfe“.

Dabei bleibt aber noch viel zu tun. 2005 zum Beispiel steht Thomas Manns 50. Todestag an. Eine willkommene Gelegenheit, um „über den schwul-lesbischen Anteil der Familie Mann“ zu berichten, sagt Theis. Hinweise auf die geplante Mann-Schau hat Theis schon jetzt unter den 300 Ausstellungstücken platziert: Ein Porträt von Erika Mann hängt auf Augenhöhe an der Marlene-Dietrich-Fan-Wand.

Die Ausstellung „Marlene und das Dritte Geschlecht“ noch bis zum 1. April 2002 im Schwulen Museum, Mehringdamm 61. Öffnungszeiten: täglich außer Dienstag von 14 bis 18, Samstag von 14 bis 19 Uhr.