Marineschule ehrt NS-Konteradmiral: Vorbild trotz Last-Minute-Todesurteilen
Die Marine ehrt einen Konteradmiral, der kurz vor Kriegsende Todesurteile vollstrecken ließ. Die Bundeswehr betont seine demokratischen Verdienste.
Die Marineschule Mürwik (MsM) in Flensburg ehrt bis heute den Konteradmiral mit einer Büste in der Aula und einem Preis für den Jahrgangsbesten. „Die öffentliche Ehrung von Tätern verhöhnt die Opfer“, sagt Günter Knebel von der „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“.
Seit Jahren löst die Ehrung mit dem Namen des Konteradmirals Kritik aus. Bei der diesjährigen Vergabe ärgerte sich die Bundesvereinigung mit Sitz in Bremen besonders über eine Aussage des Leiters der Pressestelle der Marine, Johannes Dumrese. Der Kapitän zur See hatte dem NDR gesagt, dass der Konteradmiral kein „Nazi war oder aktiv das NS-Regime unterstützt hat, völlig unabhängig davon, dass er natürlich eine Funktion als Gerichtsherr gehabt hat“.
Als Gerichtsherr dafür gesorgt, dass durchgegriffen wurde
Nicht „aktiv unterstützt“? Mit der Bestätigung der Todesurteile, kontert Knebel von der Bundesvereinigung, habe Johannesson die Rolle des „Gerichtsherrn“ so ausgefüllt, wie es die NS-Justiz vorsah. In der Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO) vom 18. August 1938 heißt es dazu: „Das Schwergewicht des militärischen Strafverfahrens ruht beim Gerichtsherrn.“ Er sei die alles beherrschende Persönlichkeit und trage die Verantwortung dafür, „dass mit der nötigen Schärfe und Beschleunigung durchgegriffen“ werde.
Unter Historikern sei zudem unbestritten, dass Gerichtsherren ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, auch anders hätten entscheiden können. Die Behauptung des Marine-Sprechers Dumrese werde dadurch nicht bloß infrage gestellt, sie werde widerlegt, sagt Knebel.
Aus Dumreses Sicht greift das allerdings zu kurz. „Ist eine Biografie ab 1945 zu Ende?“, fragt der Pressesprecher der Marine. Die anhaltende Kritik ignoriere, dass die Marine die Vergangenheit Johannessons im Nationalsozialismus nicht verschweige, zugleich aber dessen Werdegang in der Bundesrepublik würdigen wolle.
Rolf Johannesson über die von ihm unterzeichneten Todesurteile
Denn der Konteradmiral habe eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit vorangetrieben und sich vehement für eine demokratische Leitkultur eingesetzt. Auch gegen Widerstände, wie Dumrese einräumt, sei es Johannesson in der Bundesmarine gelungen, mit der „Inneren Führung“ und der Aufarbeitung der Geschichte ein plurales, multikulturelles Grundverständnis mit zu etablieren.
Auf Johannesson gehe auch die „Historisch-Taktische Tagung“ der Flotte zurück. Die heutigen Offiziere sollten sich – anders als die Offiziere seiner Generation – als Soldaten in einem und für einen demokratischen Staat verstehen. Mit diesen Motiven wolle die Marine an den Konteradmiral erinnern, sagt Dumrese.
Der Preis werde für die Jahrgangsbesten der Offiziersschule auch wegen der Werte verliehen, die Johannesson vertrat. An der Büste in der Aula sei ein Hinweis zu den Todesurteilen zu lesen. Das historische Gebäude, das in der Kaiserzeit erreichte wurde, werde zudem nach und nach zu einem kritischen Lernort umgestaltet. Bilder von Schlachten würden historisch eingeordnet, Gebäudekomplexe erläutert.
„Gebrochene“ Biografie?
Der implizierten Argumentation mit einer „gebrochenen Biografie“ will die „Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz“ nicht folgen. Zeitlebens habe Johannesson die Verantwortung für die Todesurteile verschwiegen. In seiner Biografie „Offizier in kritischer Zeit“, 2016 neu aufgelegt, erwähnt der 1989 verstorbene ehemalige Befehlshaber der Bundesmarine die Todesurteile nicht.
Der Militärhistoriker Dieter Hartwig hebt hervor, dass Johannesson in einer Erklärung vom 16. November 1953 ausführte: „Die Erfordernisse der damaligen harten Zeit ließen dem Gericht und mir keine Wahl.“ Erst im Februar 2017 wurde das komplette Schreiben aus dem Jahr 1953 im Landesarchiv Schleswig-Holstein gefunden. Hartwigs Fazit: „Konteradmiral Rolf Johannesson kann für heutige Offiziere kein Vorbild sein.“
Johannesson, stellt Hartwig fest, habe kurz vor Kriegsende nicht aus einer später von ihm behaupteten Distanz zum Nationalsozialismus heraus gehandelt. Mehr noch habe er auch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht jene Zivilcourage aufgebracht, die er selbst mit seiner Lebensmaxime „Das Geheimnis des Glückes ist die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut“ einforderte.
Aber, so Hartwigs Fazit weiter: „Als Lehrbeispiel für einen 'Offizier in kritischer Zeit“‚ sei Johannesson „sehr wohl geeignet“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut