Mannheim-Prozess: Schrittweise Radikalisierung
Im Prozess zum Mannheimer Messeranschlag legt der Angeklagte Sulaiman A. ein umfassendes Geständnis ab. Unklar bleibt, ob er die Tat bereut.
A. war ganz in Schwarz vor Gericht erschienen, mit den schwarzen Haaren und dem traditionellen Bart sticht nur seine goldene Brille heraus. Ja, er sei mit dem Vorsatz, den rechtsextremen Aktivisten zu töten, an jenem 31. Mai 2024 aus Heppenheim nach Mannheim zu dessen Kundgebung gereist. Um Spuren zu verwischen, habe er sein eigenes Handy zu Hause im Papiermüll versteckt und stattdessen ein altes mitgenommen. Bevor er das Messer gezogen habe, habe er auch die SIM-Karte zerstört.
Dann stürzte er sich auf dem Mannheimer Marktplatz auf Michael Stürzenberger, Vorstandsmitglied von Pax Europa, einer militanten antiislamischen Organisation, verletzte ihn und andere Teilnehmer schwer. Dann ging er selbst zu Boden.
Sulaiman A. schilderte seine Gedanken genau: „Zuerst habe ich gedacht, dass Stürzenberger tot ist.“ Doch dieser lebte noch. A. vor Gericht: „Ich habe nur gedacht, heute muss einer sterben.“ Schließlich hat er sich mit dem Messer auf den 29-jährigen Polizeibeamten Rouven Laur gestürzt. Der Familienvater erlag zwei Tage später seinen Verletzungen.
Kritiklose Gefolgschaft
A. spricht mit leiser, hoher Stimme, oft undeutlich; im Gerichtssaal herrscht konzentrierte Stille. Michael Stürzenberger, der erst seit Kurzem am Prozess teilnimmt, sitzt konzentriert auf der Bank der Nebenkläger; Rouven Laurs Mutter stehen die Tränen in den Augen. Es ist an diesem Prozesstag nicht zu erkennen, ob A. seine Tat im Rückblick ernsthaft bereut. Ziemlich offen schildert er seine religiöse Radikalisierung, die offenbar durch völlig kritiklose Gefolgschaft vermeintlicher Glaubensautoritäten möglich wird. Im Vorfeld hatten seine Verteidiger versucht, ihn als jemanden darzustellen, der sich in sehr kurzer Zeit stark radikalisiert habe. Doch so scheint es nicht gewesen zu sein.
Sulaiman A. hatte nach Jobs und Realschulabschluss das Abendgymnasium abgebrochen, als seine Frau schwanger wurde. Er kümmerte sich nun um die Familie. Und verbringt viel Zeit im Internet. Spätestens 2022 findet er bei Youtube Predigten radikaler Muslime, er folgt den Links zu Telegram. Seit der Machtübernahme der Taliban in seinem Heimatland Afghanistan stieg sein Interesse am radikalen Islam. Erst begeistert er sich für die Taliban, später sind die ihm nicht mehr radikal genug. Er beginnt sich für den „Islamischen Staat“ (IS) zu interessieren. „Mir hat am IS gefallen, dass dort Gottes Gesetz geherrscht hat“, sagt A. Das sei die Aufgabe der Muslime, erklärte er. Fortan speicherte er Videos von IS-Hinrichtungen auf seinem Rechner.
Auch nimmt er weiter an obskuren Religionsstunden auf Telegram teil. Im Frühjahr 2024 stieß er auf einen „lieben Lehrer“ mit dem Pseudonym Q. R. Von ihm will A. wissen, wie er als Muslim in Deutschland unter Ungläubigen leben soll. Der Krieg in Gaza verlange doch nach Reaktionen. A. ist von dem Fanatismus des Predigers beeindruckt: „Ich habe nie vorher jemanden getroffen, der gesagt hat, es ist nicht schlimm, Ungläubige zu töten.“
Dann wollte er von ihm wissen, was man mit Menschen macht, die den Koran verbrennen. Q. R. antwortete drei Wochen vor der Tat: „Egal wo ihr seid, macht die Gegend zu Gaza, wo ihr sie erwischt. Macht es ihnen zur Hölle.“ Da habe er gedacht: „Der will, dass ich den Stürzenberger töte.“
Wie er den Auftrag gefunden habe, wollte Richter Herbert Anderer wissen. „Meine Gedanken fanden das gut, mein Herz nicht“, war die Antwort. Der Vorsitzende antwortete: „So schlecht scheinen Sie es ja nicht gefunden zu haben, zwei Tage später haben Sie ihm 600 Euro überwiesen.“ Der Prozess wird voraussichtlich mit über 40 Verhandlungsterminen fortgesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!