Manilas neuer Bürgermeister: "Dirty Harry"kehrt zurück
Manilas Bürgermeister Alfredo Lim, genannt "Dirty Harry", hat nach seiner Wahl die Fußgängerzone für den Verkehr geöffnet. Den letzten Ruhepol der Stadt.
Bis vor wenigen Wochen war die Avenida Rizal einer der wenigen Ruhepunkte in dem hektischen Gewimmel und dem Dauerstau, die die philippinische Hauptstadt Manila sonst prägen. Die Avenida ist eine ehemalige Prachtstraße, von deren einstiger Glorie noch einige Kinos und ehemalige Warenhäuser im Art-déco-Stil zeugen. Und dieser Boulevard war eine der wenigen autofreien Zonen, die es in Manila gab. Die Fußgängerzone wurde unter Bürgermeister Lito Atienza vor einem halben Jahrzehnt eingerichtet.
Auf der Straße, die nach dem philippinischen Nationalhelden Jose Rizal benannt ist, flanierten am Nachmittag einfache Leute. Die Hochbahntrasse spendete Schatten. Am Straßenrand boten fliegende Händler Zigaretten, Obst und Süßigkeiten an. Es gab - in Manila eine Seltenheit - Bänke, Mülleimer und sogar ein bisschen Kunst im öffentlichen Raum. Die Avendia war nicht toll. Aber es war eine der wenigen Orte in Manila, wo man nicht im Dieselabgasqualm keuchte und die trotzdem keine Shopping Mall war.
Damit ist es nun vorbei. Am Montag nach der Wahl von Alfredo Lim zum neuen Bürgermeister von Manila begannen Arbeiter damit, eins seiner Wahlkampfversprechen in die Tat umzusetzen: die Avenida wieder für den Verkehr zu öffnen. Eine kleine Armee von Arbeitern begann, mit dem Presslufthammer die gelblichen Bodenplatten loszuklopfen und Bänke, Mülleimer und Kunstwerke abzutransportieren - angeblich auf einen Werkhof der Stadt, um später andernorts wieder verwendet zu werden.
Nur zwei Wochen nach Lims Amtsantritt rollt nun wieder der Verkehr auf der Avenida. Der Umbau wurde mit so viel Hast durchgeführt, dass am Tag der Neueröffnung noch nicht einmal Straßenschilder und Ampeln standen.
Die fliegenden Händler sind immer noch da, aber nun starren sie statt auf spielende Kinder und herumlungernde Erwachsene wieder auf den nie endenden Stoßstange-an-Stoßstange-Verkehr wie überall sonst auch in der Stadt.
Den Dauerstau in Manila wird diese Maßnahme nicht beenden. Aber Lim - der sich in seiner ersten Amtszeit Mitte der 90er-Jahre den Spitznamen "Dirty Harry" erwarb - hat die Genugtuung, eins der zentralen Projekte seines Amtsvorgängers Atienza ruiniert zu haben. Und machte gleich weiter: Zwei Wochen später ließ er die Restaurants und Kioske niederreißen, die sein Vorläufer an der Manila Bay angesiedelt hatte. Hier konnte man bis vor kurzem am Abend ein Bier trinken, gegrillten Fisch essen und den berühmten Sonnenuntergang betrachten. In den fünf Jahren seines Bestehens war der Bay Walk zu einem der wenigen Orte des ansonsten potthässlichen und glorios verbauten Manilas geworden, zu dem man Touristen führen konnte, ohne sich zu schämen.
Der Grund für die Zerstörung: Anwohner hätten sich über die Bands, die hier am Wochenende spielten, beschwert: deren Sängerinnen seien zu leicht bekleidet gewesen, die Restaurantbesitzer hätten keine Steuern bezahlt und so weiter und so fort. Nun herrscht abends Friedhofsruhe an der Manila Bay. Wer hier nach Einbruch der Dunkelheit spazieren geht, hat wieder gute Chancen, ausgeraubt zu werden wie einst, bevor der Bay Walk angelegt wurde. Bürgermeister Lim überlegt derweil, dort Universitätsstudenten traditionelle philippinische Musik aufführen zu lassen. Anders als seine Abrisspläne scheint er diese Idee aber nur halbherzig zu verfolgen.
Die Tragikomödie ist ein typisches Beispiel dafür, wie auf den Philippinen Politik gemacht wird. Wenn die Politiker nicht damit beschäftigt sind, öffentliche Mittel in die eigene Tasche umzuleiten, verschleißen sie sich in unproduktiven Revierkämpfen und kindischen, persönlichen Fehden. Statt an der Rettung des heruntergekommenen öffentlichen Raums zu arbeiten, verwendet Lim die mageren, zur Verfügung stehenden Steuermittel lieber dafür, Projekte, die zuvor mit den gleichen mageren Steuermitteln realisiert worden waren, zu zerstören.
Unterdessen wird in einem anderen Teil Manilas an einer neuen Fußgängerzone gebaut. Mitten im Stadtteil Fort Bonifacio, der auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne angelegt wird, senkt sich in sanften Stufen eine Ladenstraße herab, die irgendwie an die Innenstadt einer durchschnittlichen Ruhrgebietsstadt erinnert: hier ein öffentlicher Brunnen, dort eine Röhrenskulptur und ein paar Betonbänke. Gesäumt wird das kleine, urbane Dorado von Filialen von Kenneth Cole, Starbucks, Benetton, Nike et al. Die armen Bürger von Manila, die vor kurzem noch nachmittags auf der Avenida oder am Bay Walk spazieren gingen, werden sich kaum hierher verirren. Und wenn doch, werden die unauffällig an den Straßenecken postierten Wachmänner sie schon eines Besseren belehren. Denn diese Fußgängerzone ist von vorne bis hinten Privatbesitz, eine Shopping Mall unter freiem Himmel.
TILMAN BAUMGÄRTEL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!