Manifest eines Rappers: Den Computer "real" machen
Musik heißt heute: tausende Downloads auf der Festplatte, ewig gleiche Hits im Radio. Der Rapper Textor fordert mehr Achtsamkeit von allen Beteiligten.
Freiheit und unbegrenzte Möglichkeiten sind die Versprechen der schönen neuen digitalen Welt. Für keep it real hat sie keine Verwendung. Ganz im Gegensatz zum Hiphop, den ich immer noch mache. Die Forderungen des Hiphop und die der Welt im digitalen Zeitalter haben ein Problem, wenn sie aufeinandertreffen. Meine Welt zum Beispiel hat sich zwar um viele Möglichkeiten erweitert, sich dabei aber virtualisiert und nicht realisiert. Mein Alltag spielt sich viel mehr als früher an nur einem Platz ab: vor dem Bildschirm - egal, ob ich nun Musik oder Bürokram mache. Ich tippe auf einer Tastatur, ich bewege die Maus, immer das Gleiche. Es ist günstig und praktisch: Ich habe ein ganzes Studio in nur einer Kiste. Und noch mehr. Mein Rechner spielt nicht nur Studio, er tut auch so, als sei er eine Hammond-Orgel, ein Wurlitzer-Piano, ein Sinfonie-Orchester - und das alles in erstaunlicher Qualität: Wer sich nur oberflächlich mit Sound auseinandersetzt, kann das virtuelle Ergebnis kaum noch vom Original unterscheiden.
Der Rechner kann also Realitäten erfinden: Ich kann so tun, als würde ich eine virtuelle Harfe über einen virtuellen Fender-Bassman-Gitarrenverstärker spielen, das Ganze mit einem emulierten Neumann-Mikrofon aus den Vierzigerjahren aufnehmen und es dann so klingen lassen, als hätte die Aufnahmesession in einer Waschmaschinentrommel stattgefunden. Lustig ist das schon eine Weile, aber schnell fühlt es sich auch an wie ein bis unter die Decke vollgestopftes Spielzimmer: Man verliert die Lust, weil man ob der schieren Masse nichts mehr unterscheiden kann.
Interessant wird es am Rechner immer dann, wenn man die Technik nicht im Sinne das Handbuchs verwendet. Wenn man Audiomaterial bis an die Grenze der Machbarkeit komprimiert und der Rechner anfängt, Fehler zu machen, zu verzerren. Diese Fehler lassen sich einsetzen - ein altes Prinzip, das schon bei verzerrten E-Gitarren funktioniert hat. Es wäre eine Aufgabe, daraus eine neue Ästhetik zu entwickeln: Den Rechner wirklich "real" zu machen - ihm mit der gleichen Mischung aus Liebe und Missachtung zu begegnen, die immer nötig ist, wenn man die Oberhand über das Werkzeug erlangen will. Ich will das mal "aktive Sorgfalt" nennen.
Da ein Rechner alles sein kann, ist es allerdings schwierig, ihn "festzunageln". Musikinstrumente und ausformulierte musikalische Konzepte waren da in ihren Aufgaben, in ihren Stärken und Schwächen klarer. Die neue aktive Sorgfalt, die ich mir wünsche, erfordert wohl mehr Gedankenarbeit: Es wird nicht reichen, statt einer Gitarre ein Apple-Laptop auf der Bühne zu zerschlagen. Man muss sich die kraft-, zeit- und konzentrationsintensive Mühe machen, sich so weit in den Rechner hineinzubohren, bis man über die von den Programmierern vorgesehenen Grenzen hinausschießt. Oder man entwickelt an anderen Instrumenten ein schlüssiges Konzept und nutzt den Rechner dann nur mehr als Umsetzungshilfe. Man kann diese beiden Positionen natürlich auch verschränken, so wie wir es bei Kinderzimmer Productions machen: Mein Partner Sascha Klammt bevorzugt die erste Methode, ich die zweite.
Auf Seiten der Musikhörer stellt sich die Situation ähnlich dar. Früher musste man Musik suchen, kaufen oder auf Konzerte gehen - es ging gar nicht anders. Konzerte bleiben ein Sonderfall, aber alles, was mit Schallaufnahmen zu tun hat, hat sich genauso virtualisiert wie das Musikmachen. Musste man früher von Flohmarkt zu Flohmarkt pilgern für diese eine besondere Platte, ist man heute nur ein paar Klicks vom kostenfreien Download entfernt. Warum sollte man es sich schwerer machen als nötig? Warum Platten schleppen, wenn nicht aus reiner Früher-war-alles-Besserwisserei? Da lädt man dann eben runter, nächtelang. Aber die ganze unüberschaubare Masse verleidet einem schnell die Freude am Hören. 17.000 Titel auf der Festplatte - wann soll man sich das alles anhören? Musik, die Aufmerksamkeit braucht, um zu wirken, hat da nicht so gute Karten. Dazu kommt noch, dass MP3s, nach wie vor das populärste Dateiformat für Musik im Internet, bei einer geringen Bitrate unerträglich klingen. Wenn man die Sachen dann noch über Laptoplautsprecher hört oder einfach das Handy laut stellt, was hat man dann davon? Es quäkt einfach etwas, mehr nicht. Ziemlich achtlos.
Die Folgen dieser Achtlosigkeit sind einem von der Plattenindustrie schon oft genug vorgeheult worden. Leider muss ich sagen, dass da zur Abwechslung nicht übertrieben wird. Wir bringen die Platten von Kinderzimmer Productions heute nicht nur deshalb auf unserem eigenem Label raus, weil wir unsere künstlerische Freiheit so lieben, sonder auch, weil heute auf einer Party, zu der ein Label, ein Verlag, ein Vertrieb und ein Management eingeladen sind, einfach nicht mehr genug Kuchen für jeden da ist.
Der Verkauf von CDs bringt nicht genug zum Leben und läuft zu gut zum Sterben. Jeder spart und knappst, beutet sich und andere aus, um der fast ausgequetschten Zitrone Musikindustrie noch ein paar Tropfen zu entlocken. Was danach kommen soll, weiß niemand. Die viel beschworenen Downloads mögen sich in der gesamten Masse für iTunes vielleicht mal lohnen, aber für einen Künstler ergibt sich aus den gesammelten Cent-Einkünften nur ein besseres Taschengeld. Das Live-Spielen bringt nur dann Geld, wenn man bekannt genug ist, um mehr als 200 Leute am Abend zu ziehen. Dafür muss man Promotion machen, die kostet Geld - wo soll das herkommen? Und die Gagen für unbekanntere Bands sind in den letzten Jahren schlechter geworden, nicht besser. Man ist als Musiker entweder arm oder reich, das Dazwischen ist viel seltener als noch vor zehn Jahren.
Was tun? Musik ist für mich eine existenzielle Sache - ob ich davon leben kann oder nicht, ändert daran nichts. Dann muss das Geld eben woanders herkommen. Und es gibt immer noch eine Gruppe von Hörern, die sich interessiert - die Musik verhallt also nicht ungehört. Diese Gruppe ist aber zu klein, um einen ganzen Kulturzweig durch CD-Käufe und Konzertbesuche über Wasser zu halten. Geld gibt es nur noch am Top-Ende des Mainstreams und bei den "Eliten": Der klassische Musikbetrieb überlebt nur durch Subventionen. Vielleicht kann man von denen ja mal was abbekommen. Wer weiß, vielleicht will sich die Gesellschaft ja doch noch eine Kultur zwischen Pop im RTL-Sinne und E-Musik im Geiste Beethovens leisten?
Es scheint noch nicht wirklich bemerkt zu werden, wie viel zumindest der Mainstream genau von dieser Musik aus dem "Irgendwo-Dazwischen" profitiert hat. Der Pop-Betrieb ist in seiner Funktionalität nicht in Gefahr. Es wird immer etwas fürs Radio und Popsternchen zum Anhimmeln geben, aber wenn die Substanz unter der "Spitze" wegbricht, wird aus Madonna ganz schnell Britney Spears - und übrig bleibt schließlich irgendwas Zusammengecastetes. Die Ideen für guten Pop werden nicht an der Spitze entwickelt. Wem das nichts ausmacht, der hat sowieso kein Problem - der Markt wird aussortieren, was nicht gebraucht wird. Das Radio hat es ja schon vorgemacht: 350 Superhits ist die ganze Musik, die die meisten von uns je brauchen werden - und die gibts ja schon, da braucht man die Beatles nicht neu zu erfinden.
Wem als Hörer diese Aussicht nicht gefallen will, der wird seine bequeme Position vorm Rechner verlassen müssen. Die Sache reguliert sich nicht von selbst, und die Aufgabe lässt sich auch nicht delegieren. Man muss selbst laufen, kaufen, hören, verstehen, wertschätzen - "keep it real" eben. Und wird merken: Die größere Investition, auch in Zeit und Konzentration, macht sich bezahlt. Wie das Ganze praktisch abläuft, wird sich weisen. Entscheidend ist, ob diese Form von Kultur gewollt wird. Ob man ganz urdeutsch Vereine gründet oder sich sonstwie engagiert - und sei es nur, dass man der Sache echte Aufmerksamkeit widmet und die Musiker, die man wirklich mag, auch unterstützt. Mir persönlich ist es egal, ob jemand meine Platte kauft oder mir Geld überweist, weil er die Downloadversion hundertmal gehört hat. Man muss den Dingen selbst Wert geben, es ist kein Preisschild mehr drauf.
Die gute Nachricht ist: Die Qualität der gemachten Musik stimmt noch, es gibt mehr als genug neue gute Musik, wenn man sich umsieht. Auch das will allerdings getan sein. Die Produzenten tun alles in ihrer Macht stehende, um auf sich hinzuweisen. Sie können nicht noch lauter nach Aufmerksamkeit schreien, ohne aufdringlich und geschmacklos zu werden. Was für Musik in Zukunft gehört wird, hängt viel mehr vom Konsumenten ab, als dem wahrscheinlich bewusst ist. Er hat heute mehr Einfluss darauf als je zuvor. Diese Chance kann er nutzen oder es bleiben lassen. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt: Alle, die professionell mit Musik verbunden sind, werden sie akzeptieren müssen.
You can get with this / Or you can get with that / The choice is yours. (Black Sheep)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen