Mangelnde Fußballprofessuren: Ich, die EM und die Wissenschaft
Die EM soll vorgeblich eine Öffnung und Modernisierung der Gesellschaft bewirken. Doch Fußballprofessoren, die das erforschen könnten, gibt es nicht.
A ch, beginne ich doch einfach mit Robert Musil. Schließlich will ich zeigen, wie wichtig das alles ist. „Es gab einflussreiche Industrien, wie die des Fußballspiels“, schrieb er in seinem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ 1930, „aber man zögerte noch, ihnen an den technischen Hochschulen Lehrstühle aufzustellen.“
Nicht so in Dortmund. Seit 2006 gibt es dort an der TU zu WMs und EMs die „Fußballprofessur“. Inne hat sie Andrei S. Markovits, nicht nur jüngst emeritierter Professor der University of Michigan, sondern auch (Disclaimer!) ein guter Freund von mir. Sonst könnte ich diese Kolumne gar nicht schreiben, denn Andy (noch ein Disclaimer!) hatte mich eingeladen, dort einen Vortrag zu halten. (Letzter Disclaimer, versprochen): Mein neues Buch handelt allgemein von der Sportgeschichte und was es da an sozialen Kämpfen gab und gibt, aber ich bastelte aus diesem großen Thema eine Mischung aus Vortrag und Lesung – nur mit Fußballbeispielen. Das kam nicht schlecht an, aber seit wann geht es in einer Kolumne wie dieser um mich? Eben.
Studierende aller möglichen Kulturwissenschaften tauchten im Fußballseminar auf, Kollegen und Kolleginnen aus dem Lehrbetrieb wollten sich das mal anhören, und auch Menschen, denen man wohl nicht zu nahe tritt, wenn man sie als nicht mehr studierend vermutet. Das Ganze bei hochsommerlichen Temperaturen von 12.15 bis 13.45 Uhr, also zu einer Zeit, zu der Leute wie ich (um den es ja hier nicht geht) ans Mittagessen denken.
Aufladung der EM
Vielleicht liegt dieses Interesse an der Aufladung dieser Fußball-EM. Von ihr soll ja unbedingt eine Öffnung und Modernisierung unserer Gesellschaft ausgehen – ein „Sommermärchen 2.0“. Solch politische Erwartungen legen tatsächlich ein paar Fragen nahe: Kann die EM das? Soll sie das? Und: Wer will das? Mein Freund Andy hat viel Erhellendes zum Fußball erforscht: Warum er fast überall Weltsport ist, nur in den USA nicht; warum aber genau dort Frauenfußball ein wesentlich besseres Standing hat und vieles mehr. Aber konkret die Fragen nach dem angeblichen Sommermärchen können von der Forschung aktuell kaum beantwortet werden. Vielleicht, weil es so gut wie keine Fußballprofessoren gibt. Googelt man, springen einem nur zwei entgegen: Ralf Rangnick und Andy Markovits. Der eine, Österreichs Nationaltrainer, wurde damit eher geschmäht, und der andere bekommt den Titel leider nur für die Dauer von Großevents verliehen.
Dabei wird mit jeder Nancy-Faeser-Rede („Zusammenhalt stärken“), Markus-Söder-Einlassung („Daumen drücken!“) und Saskia-Esken-Interview („Zusammenspiel befreundeter Völker“) deutlich, dass hier Forschungsbedarf existiert. Wir haben stattdessen bloß das mediale Experten- und Expertinnengewese. „Verhältnismäßig einfach, wenn ein Fußballverein anregte, seinem Rechtsaußen den Professorentitel zu verleihen“, heißt es bei Musil dazu. Nicht schlecht, okay. Aber sonst zögert man nicht nur an technischen Hochschulen noch. Dabei stünden ich und meine Freunde gerne bereit.
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